… the 9th of November. Wir sind schnell im Vergessen. Kein Wunder, überlagern doch die aktuellen Ereignisse dominant die Erinnerung an Vergangenes. In den Medien ist derzeit von der bevorstehenden Wut und Rache des zukünftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten die Rede. Donald Trump will „aufräumen“, „säubern“, am liebsten auf all die schießen, die ihm widerwärtig sind. „Good Night America“ betitelt die Süddeutsche Zeitung heute einen ihrer Leitartikel. 9. November 2024.

Es ist ein Schicksalsdatum in der deutschen Geschichte: 1848 Scheitern der Märzrevolution. 1918 Novemberrevolution, Abdankung des Kaisers und Ausrufung der Republik. Angela Hartwig hat in ihrem Buch über ihre Urgroßmutter Lina Richter ausführlich darüber geschrieben. 1938 Reichsprogrom-Nacht, das gewaltsame Vorgehen gegen Juden, jüdischen Geschäfte, jüdische Kultureinrichtungen und Synagogen. 1989 Fall der Mauer.

Wieder ist es ein 9. November. Es ist spät in der Nacht, ich stehe vor dem Tor zur ersten Reform-Synagoge von 1844. Vielleicht wird sie in kürze Weltkulturerbe. Noch ist es mein Nachtdomizil in Hamburg. Menschen haben Kerzen aufgestellt. Ich verharre einen Moment, bevor ich den großen Schlüssel im Schloss umdrehe.

Dem Gebäude ist in der damaligen Nacht 1938 nichts passiert, es war schon einige Jahre zuvor säkularisiert worden. Anders mag es den Menschen rundherum ergangen sein, den kleinen jüdischen Krämerläden, in den Wohnhäusern, in denen Juden wohnten. Überall in der Hamburger Neustadt sind Pflastersteine mit Namen von deportierten Bewohnern angebracht. Kerzen stehen in dieser Nacht davor.

Im Hinterhof mit der Tempelruine ist es still und doch scheint es, als würde der einstige Lärm der Verheerungen herüberschwappen. Er geht unter die Haut, wie die feuchte Kälte zu dieser Stunde.

Man sieht die Verwundungen an den Mauern, wie sie der Krieg geschaffen hat. Links gehen die Stufen hinauf. Es war das Treppenhaus der Frauen. Nun ist es meines. Oben knipse ich das Licht an. Es fühlt sich sicher und behütet an, etwas Altes hat hier überdauert.

Wir sollten durchlässig für unsere Geschichte sein. Sie wiederholt sich im Guten wie Bösen. Wer sind diesmal die Sündenböcke und „Feinde im Inneren“?