Heute Abend geht es auf unserem IT’S A DIENSTAG mit der Journalistin und Buchautorin Bettina Musall um die Babyboomer, der größten Generation, die jemals dieses Land erlebt hat. Um Euch neugierig zu machen: Wir reden von fast dreißig (!) Millionen Menschen in Deutschland im Alter von Fünfundfünzig+. Tendenz steigend. Ein Großteil von ihnen sind die Mitbegründer der Wegwerfgesellschaft, um die es mir heute geht.

Screenshot: Orsola de Castro, aus Süddeutsche Zeitung Magazin

Freundin Tuki versorgt mich regelmäßig mit spannenden Artikeln aus ihrer Morgenlektüre, so dieses Mal der Beitrag über Orsola de Castro, einer Italienerin, Designerin, die in London lebt und sich zur Retterin von alter Kleidung machte. Ich würde mich ihr bedingungslos anschließen. Warum wegschmeißen, nur weil es ein Loch hat oder einen Fleck, der nicht bei der Reinigung rausgeht.

Wollblazer Yves Saint Laurent aus den frühen 80ern.

Ich denke an meine Cashmere-Wolljacke von Christopher Kane, die Motten lustvoll zerknabberten. Dann habe ich sie brutal in der Waschmaschine gewaschen, bei -12°C dem Eisfach ausgeliefert, und anschließend wurde es mein unique Design-Objekt, noch einen Tacken extremer als der britische Designer sie fertigen ließ.

Reparierte Cashmere Strickjacke von Christopher Kane

Orsola De Castro gehört zu den Gründerinnen von „Fashion Revolution“, einer globalen Vereinigung, der es um eine Kehrtwende in der Mode geht. Wir müssen wieder lernen zu lieben, was wir kaufen, tragen und uns begleiten sollte über viele Jahre … bis wir sagen können: zu Tode geliebt.

Yves Saint Laurent Bluse. Gespräch mit Marietta Andreae (Juli 2023)

Meine Vintage Yves Saint Laurent Bluse aus den frühen siebziger Jahren hat sich mittlerweile in Einzelteile zerlegt. Wegwerfen? Nein, das werde ich nicht, zu schön, zu inspirierend, voller Geschichten. Vielleicht lasse ich Melle daraus eine Patchwork-Bluse nähen mit anderen Versatzteilen meiner Blusen.

Und dann gibt es noch den handgestrickten Pullover mit den Löchern. Ich trug ihn schon mit Toska als Baby auf dem Arm. (Foto suche ich noch.) Auch er durchlebte einen 48 Stunden Kälteschock und ist jetzt Nager-frei. Wir haben die aufgeröbbelten Maschen sorgfältig eingefasst. Manchmal bleibt jemand stehen und sagt: „Oh, sie haben dort ein Loch.“ – Dann lächele ich und antworte: „Ist ein Designer-Teil.“ Ich reihe mich damit ein in die Liga der Großen wie: Ann-Demeulemester, Margiela, Comme des Garçons …. Sie alle machten die Beschädigung und den Zerfall zum Thema.

Vintage Yves Saint Laurent Blazer. War damit schon auf manch Edelparty.

Hier ein paar Zahlen aus der Süddeutschen Zeitung: In den vergangenen Jahren hat sich die Bekleidungsproduktion nahezu verdoppelt, die Lebenszeit der Klamotten hat sich umgekehrt immer weiter verkürzt. Von den geschätzten 53 Millionen Tonnen, die jedes Jahr weltweit hergestellt werden, landen ca. 75% auf dem Müll. Wie wäre es mit einem „radikalen Behalten“ oder wie es in dem Artikel als Überschrift so treffend heißt:

„Wer kaputte Klamotten repariert, repariert ein kaputtes System.“

Vintage Brosche Yves Saint Laurent, € 750.

Heute Abend trage ich etwas Kaputtes oder Repariertes oder etwas gewollt Kaputtes, mein Schrank ist voll davon, gelebtes Leben. Vielleicht gelingt es uns Babyboomer Besserwissern und Konsumern zu einer veränderten Wertschätzung zu gelangen.


In meinen Adventskalender No.5 packe ich die kreative Reparatur-Beraterung. Bringt einfach ein geliebtes Teil mit und wir überlegen, wie wir es retten können, oder schickt ein Foto. Ein Schnell-Tipp: Eine Brosche von Yves Saint Laurent kaufen, die das Löchlein verdeckt.