Das Buch erschien 2021 mitten in Corona, die Fortsetzung von 1913. Dort nannte Florian Illies es noch „Der Sommer des Jahrhunderts“. Nun, sechzehn historische Jahre später, einen Weltkrieg danach, Spanischer Grippe, Börschencrash und bevorstehender Hilter-Machtübernahme heißt es „Liebe in Zeiten des Hasses“. Ich lese, nachts, im Zug, am Strand. Gebe zu, hier windzerzaust, ist es ein wenig glamourös inszeniert, aber es passt zu den schillernden Akteuren.

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Wer glaubt, die Ehe sei eine Institution, die bleibt bis das der Tod uns scheidet, die überdauert in guten wie in schlechten Zeiten, der irrt, jedenfalls was die Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts anbelangt. Die Menschen kamen aus dem Töten und Getötet werden und ahnten, dass es bald wieder so sein würde. Erich Maria Remarques Wiederverfilmung „Im Westen nichts Neues“ erhielt soeben vier Oscars (ein Gegenwartsbezug).

Wir reden von den Großstädten, von Berlin und von Paris. Was passiert, wenn man das Gestern ausblendet, das Morgen nicht kennt und nur das Jetzt lebt? Man liebt radikal! – So, als hätte man keine Zeit, hungrig und rastlos, als müsste der Moment schier bersten vor Emotionen, um ihn zu genießen. Danach kann schon Ende sein, man selbst ausgelöscht. Es wurde wenig später grausame Wahrheit für Millionen von Menschen.

Ich verschlinge Seite um Seite, kenne beinahe alle Erwähnten: Kurt Tucholsky, der aus jeder Affäre ein Buch machte. Walter Benjamin, den irgendwie das Liebespech verfolgte, kaum hat er sich scheiden lassen von Frau Dora, ist die Geliebte schon entflohen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Zeit hatte niemand in der flirrenden Hektik von Berlin.

Die Familie Thomas Mann in ihrer verbalisierten Kälte. Gottfried Benn mit seinen traurigen Augen, „trauerüberladen, untergangssicher“, die Freundin nahm sich seinetwegen das Leben, die nächste tröstet den Poeten. Glücklich wurden sie alle nicht. Aber was ist Glück? Ein kurzer Moment, vielleicht wenn Lotte Lenya, die zukünftige „Seeräuber-Jenny“, sich beim Rudern in Kurt Weill verliebt, oder Lee Miller sich zur Asssistentin von Man Ray macht.

Besser, man verliebt sich nicht, und wenn doch? Die arme Simone de Beauvoir, die mit Jean-Paul Sartre einen Pakt eingehen musste für eine freie Beziehung. Ich wusste schon damals als Studentin, dass diese Frau gelitten hat. „Alle glücklichen Paare ähneln einander. Aber alle Unglücklichen sind auf ganz eigene Weise unglücklich.“ (Seite 65).

Der arme Wittgenstein, einer der klügsten Männer des Jahrhunderts, er kam gar nicht klar, liebte und verschwand oder besser versteckte sich, sandte verstörende Textschnipsel an die Verlobte, die daraufhin das Weite suchte. Auch sie hatte doch nur das eine Leben, das gelebt werden wollte.

Marlene Dietrich zwischen Hollywood und Berliner Kietz, mal mit Mann, mal mit Frau, ähnlich wie Lisa und Gottfried von Cramm, der Tennisstar. Sein Neffe war ein Freund von uns. Geschichte kommt damit ganz nah. Dann der halb verhungerte, runtergekommene Henry Miller, der in Paris vom Ruhm als Schriftsteller träumt. Picasso und seine durchorganisierten Parallelwelten, und immer wieder Erich Kästner, der seine Geheimnisse einzig und allein der Mutter schrieb.

Es geht nicht um Sex, es geht um viel mehr, um den Rausch am Leben, aber was das ist, das wussste niemand so recht. Man hoffte es irgendwo zu finden, in der Nacht der atemlosen Stadt, in den Bars und in den Cafés.

Ein irres Buch, ein eloquentes Gossipen über das damalige „Who is Who“ und wer mit wem. Ein Sittengemälde mit detaillierten Fakten, hinter dem sich die Frage verbirgt, wie wir Menschen lieben, wenn man uns die Zukunft nimmt.