Was hat dieses Titelbild der Süddeutschen Zeitung mit Sylt zu tun, wie es sich in meiner Überschrift irritierend ankündigt? Die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zu Besuch in Polen. Sie hält die Hand einer Überlebenden des Warschauer Aufstandes. Die Ausgabe lag gestern im Bahnhofskiosk von Altona, und während der Zugfahrt nach Sylt hatte ich Gelegenheit, gedanklich einem besonders düsteren Verlauf der Geschichte zu folgen.
Der Warschauer Aufstand, initiiert von der polnischen Exilregierung in London, brach am 1. August 1944 aus und dauerte 63 Tage bis er blutig von den Deutschen niedergeschlagen wurde. Der Vater meines Mannes, Krzysztof Maria Stanislaw Graf Tyszkiewicz, gehörte zu den Helden dieser Wochen, die einen aussichtslosen Kampf kämpften. Aber diese private Verbindung ist nicht der Grund, warum mich die Spurensuche nach Sylt führt. Es geht weiter …
Reichsführer SS Heinrich Himmler beauftragte den SS Gruppenführer Heinz Reinefarth (1903 – 1979), das Kommando in Warschau zu übernehmen, und erteilte den Befehl, die Stadt dem Erdboden gleichzumachen, sämtliche nicht-deutsche Bevölkerung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Alter oder Beteiligung am Aufstand aus den Häuser zu holen und zu töten.
Die “Kampftruppe Reinefarth” übernahm und richtete allein in dem westlichen Stadtteil Wolna ein Massaker an mit bis zu 50.000 ermordeten Zivilisten. Heinz Reinefarth war persönlich verantwortlich für den Tod von insgesamt über 100.000 Menschen und reiht sich damit ein in die Riege der größten Kriegsverbrecher dieser Welt.
Heinz Reinefahrt in der Mitte.
Überraschender Weise wurde ihm jedoch nie ein Prozess gemacht. Er trickste, er dealte, konnte sich auf alte Seilschaften verlassen, und so wurden sämtliche Auslieferungsanträge Polens abgelehnt. Ein deutsches Gericht sprach ihn 1949 von jeglicher Schuld frei. Heinz Reinefarth, der “Schlächter von Warschau”, wie ihn die Polen nannten, führte unbehelligt nicht nur ein beschauliches privates Leben, sondern es gelang ihm auch eine politische Nachkriegs-Karriere.
… Und nun erschließt sich der Bogen von dem Titelbild zur Überschrift: Reinefarth auf der Insel Sylt, wo er schon vor dem Krieg ein Haus besaß, mit seiner Familie Urlaub machte, durch die Dünen ritt.
Von 1951 – 1964 war er Bürgermeister von Westerland, 1958 wurde er in den Schleswig-Holsteinischen Landtag gewählt. Seid 1979 ruht er auf dem Friedhof in Keitum. Regelmäßig gibt es Blumen auf seinem Grab. In der unmittelbaren Nachbarschaft liegen Rudolf Augstein, Fritz Raddatz und Peter Suhrkamp, um nur einige bekannte Freigeister zu nennen.
Es gibt eine Gedenktafel mit einer offiziellen Entschuldigung am Rathaus von Westerland, die man aber nicht sehen kann (Plexiglas), und ein Redakteur, Nils Leifeld von der Sylter Rundschau, der das Thema kritisch aufgriff, denn in unregelmäßigen Abständen wurde das Grab besprüht. Die Täter sind nicht gefunden, wahrscheinlich waren es Menschen, die es nicht fassen können, dass andere sagen: “Wir sollten die Toten ruhen lassen” (Keitums Ortsbeiratsvorsitzende Gritje Stöver, CDU). Die Pastorin schweigt.
Vielleicht wäre es an der Zeit, wenigstens ein Schild neben dem Grab aufzustellen mit einem Bild und einer Erklärung, wer dort liegt, versehen mit den harten Fakten des Kriegsverbrechens: Begraben liegt hier ein Mann, der bedauerte, dass er nicht mehr so viel Monition besaß wie Gefangene.
1957 enstand dazu ein Film von Andew Thorndike und Annelie Thorndike. Die Abbildungen in meinem Beitrag sind Screenshots daraus. Undercover haben sie recherchert, gefilmt und Archivmaterial hinzufügt.
Moin Frau Tyszkiewicz,
ich wurde durch dritte auf ihren Blogbeitrag angesprochen, da sie mich dort zitieren. Es ist erstaunlich, wie das unpersönliche Internet Menschen in ein falsches Licht stellen kann. Jetzt ist es mir auch einmal passiert und deshalb möchte ich für eine gewisse Klarheit sorgen. Im Kontext des Zeitungsartikels ging es um Grabschändung. Ich lehne ich Grabschändigungen ohne wenn und aber ab und bin wütend über diejenigen, die zu so etwas in der Lage sind. Um dies zu verdeutlichen hier das Zitat im Kontext des Zeitungsartikels:
Keitums Ortsbeiratsvorsitzende Gritje Stöver (CDU) geht mit dem oder den Tätern hart ins Gericht: „Das hat nichts mehr mit einer kritischen Vergangenheitsbewältigung zu tun. Die Schändung von Grabsteinen ist und bleibt pietätlos. Wir sollten die Toten ruhen lassen.“
,
Liebe Frau Stöver, auch wenn Sie ihr Zitat vollständige erwähnen, ändert es doch nichts an Ihrem hoch missverständlichen letzten Satz:”Wir solten die Toten ruhen lassen”. Er weißt nicht auf eine kritische Vergangenheitsbewältigung hin, sondern lässt fahrlässig die Deutung zu, historisches Verbrechen ruhen zu lassen.
Liebe Birgit,
danke, dass Du über dieses dunkle Kapitel berichtest, das weiterhin wenig präsent auf Sylt ist. Immerhin berichtet Silke von Bremen in ihren Führungen durch Westerland und Keitum schon lange über die Taten dieses Unmenschen und seine polit. Karriere in Westerland/SH. Das ist ein Versuch, die lange verschwiegenen Fakten zur Person Reinefahrt für Sylter Gäste in Erinnerung zu behalten.
… sehr schockierend, wenn man die ganzen Fakten über diesen Mann und sein Morden liest.
Und genauso schockierend, wie dieser Schlächteer im Nachkriegsdeutschland, besonders auf Sylt, weitergelebt hat.
Eine widerwärtige Geschichte.
Und sehr gut von Dir geschrieben…
Liebe Birgit, erst einmal muss ich Dir zu Deinem heutigen Blog ein paar Zeilen schreiben. Es hat mich wahnsinnig berührt was Du geschrieben hast. Es ist bestürzend was Menschen hinter einer ehrbaren Fassade für Verbrecher sein können und dann auch noch von der Politik und Anhängern gestützt werden ! Einfach unfassbar!! Auch wenn man das alles weiß ist es gut solche Schandtaten nicht vergessen zu lassen und immer wieder in Erinnerung zu rufen. Und das Du das getan hast finde ich großartig und verdient meinen Respekt! Auch wenn ich total geschockt war!
Danke liebe Birgit, dass Du uns die dunkelsten Momente unserer Geschichte vor Augen hältst…
vor lauter Puntin vergessen wir, dass auch wir Deutschen eine unermessliche Schuld auf uns geladen haben.
Für mich ist es immer noch unfassbar, wie alles passieren konte, obwohl schon tausendmal im Geschichtsunterricht, Reportagen etc. beschrieben, niemals eine klärende Antwort meiner Eltern auf meine Fragen bekommen… das Schlimme ist, das Grauen ist wieder im Anmarsch… auch bei uns im Lande… Ich wusste nichts von der Geschichte, die Du uns nahe gebracht hast und bin fassungslos, ob der Karriere dieses Mannes in der Nachkriegszeit… unglaublich…
Ich bewundere deine Kraft, wesentliche Dinge kraftvoll in Worte zu fassen. Danke dafür
Danke für diese wieder so gut geschriebene Kreis Historie. Danke!