Heute findet das große Ereignis statt, die Hochzeit zwischen Hélène de La Rochefoucauld und dem Sohn unserer Famillienfreunde, Gabriel de Robien. Beide stammen aus berühmten französischen Aldelshäusern, Hélènes geht bis in die Anfänge des 11. Jahrhunderts zurück. Schlappe tausend Jahre, das ist schon beeindruckend. Toska und ich sind gestern in Loches eingetroffen, einem der wohl schönsten Renaissance-Städtchen in Frankreichs „Garten“, dem Val de Loire.

In der Mitte tront das Schloss mit der Plakette von Jeanne d’Arc am Torhaus. Von hier aus zog sie los nach Reims, ihren Stimmen folgend, um den Dauphin zum König von Frankreich zu verhelfen.

Aber genug dieser Geschichte, Toska und ich müssen uns „intellektuell“ auf die Hochzeit vorbereiten und lesen über den berühmtesten Vertreter der Familie: François VI (1613 – 1680), Duc de La Rochefoucauld, Prince de Marcillac, Pair de France. Er ist unser Mann! Mit ihm bestreiten wir jeden Adels-Small-Talk. Ich bin begeistert.

Sein Zeitgenosse war Jean de la Fontaine (1621 – 1695), zu ihm gab es eine ganze Kollektion von mir. Beide sind ähnliche Freigeister, nicht immer konform mit dem König, weswegen sie auch mal ins Gefängnis wanderten oder untertauchen mussten, aber immer geliebt von den klügsten Frauen der Zeit: Madame de Chevreuse, Madame de Sablé, Madame de Sévigné … Sie waren die Erfinderinnen der Salons. Und François de la Rochefoucauld einer ihrer eifrigsten Besucher.

1665 schrieb er inspiriert von ihnen (oder vielleicht sogar mit ihnen gemeinsam) seine Maxime, kurze Gedanken und Reflexionen, die wir beim Abendessen zwischen den alten Gemäuern um uns herum studieren.

On est quelquefois aussi différent de soi-même que les autres.

(Wir sind uns manchmal genauso fremd wie den anderen.)

Hoffentlich passiert es uns nicht zwischen der Hochzeitsgesellschaft in wenigen Stunden. Aber es passiert eben, manchmal oder öfter, ganz unwillkürlich. Ich blättere weiter und stolpere über die nächste Weisheit: „La faiblesse est le seule défaut que l’on ne saurait corriger.“ (Die Schwäche ist der einzige Fehler, den man nicht korrigieren kann.) Meine Rettung, heute Abend beim Dinner.

Und so geht es weiter, Seite für Seite in dem kleinen Büchlein. 504 Maxime. Alle werden wir nicht lesen, aber die Lektüre steckt nachher in meiner Handtasche. Schließlich sehe ich mich in der Tradition dieser gebildeten Frauen an der Seite außergewöhnlicher Männer. Bin gespannt, wer mein Tischnachbar wird. Und Toska ebenso.

À bientôt! Nun muss ich eilen, unter die Dusche, in das Kleid, die Schultern bedeckt, in die samtenen Slingbacks von Taglia Scarpe und mit dem Schmuck von Yves Saint Laurent. Auf zur Marriage!