Wie eng die Dinge doch beieinander liegen, das Glück und das Leid, oder besser gesagt, die würdige Trauer, wie ich sie gestern erleben durfte. Beginne ich davon zu erzählen, von einem innigen stilvollen Abschiednehmen. Mit dem ersten Flieger landete ich in Paris, Metro Station Saint-Germain-des-Prés, mit Croissants, Koffer und Rucksack keuchte ich die sechs Treppen zu Toskas Chambre de Bonne hoch. „Ich muss zu der Trauerfeier der Schwester meiner Vermieterin“, empfängt mich meine Tochter. Die alte Dame aus dem Vorderhaus ist gestorben.

Ich entscheide spontan mitzukommen. Im Koffer liegen der schwarze Rock von Balençiaga, ein dunkles Vintage Yves Saint Laurent Top. Toska trägt den alten Anne Demeulemeester-Rock von mir, dazu den Muschelschal. Wir sehen schick aus, angemessen. Für was genau? Ich habe keine Ahnung, bis dahin handelt es sich nur eine kranke alte Dame, ohne weitere Details, die Toska regelmäßig besuchte, mit ihr plauderte, für sie kleine Aufgaben erledigte.

Im Café beschreibt mir Toska, wie sie wohnte, das Appartment, abgedunkelt mit schweren Brokatvorhängen, mit japanischen und chinesischen Antiquitäten. Ich sehe es vor mir, es fühlt sich an nach altem Geld und gediegen französischer Kultur.

Anschließend schlendern wir rüber zur Kirche Saint Thomas d’Aquin in der Rue du Bac. Die schweren Türen sind weit geöffnet, der Kirchenraum schon zu zwei Drittel gefüllt. Endlich erhält die Gestorbene einen Namen: Marquise Chantal d’Amat.

Vor uns und um uns herum nehmen die Angehörigen und Freunde Platz. Ich beobachte sie verstohlen, studiere ihre Gesichter. Schlicht, unauffällig edel sind sie gekleidet. Ihre Mienen freundlich und ernst. Keine (!) der Frauen ist geliftet, gebotoxt. Sind ihre Nasen lang und markant, so sind sie so geblieben. Wunderschön. Man sieht ihre Falten, die von einem Leben erzählen. Die Haut ist gepflegt, aber nicht überschminkt. Es sind Menschen und Charaktere, die zur aristokratischen Elite der Pariser Gesellschaft gehören.

Die Messe beginnt, wir erheben uns, der Priester schmettert in einem herrlichen Barriton, dazu die Sängerin mit ihrer klaren außergewöhnlichen Stimme, begleitet von der Orgelmusik. Die Kirche wird zu einem Raum der Gemeinschaft. Toska und ich fühlen uns zugehörig. Die Dame neben mir mit den kräftigen grauen Haaren, schlicht nach hinten gekämmt, weint ein wenig, diskret hält sie die Hand vor ihre Augen, vielleicht eine Freundin. Auf der anderen Seite eine Frau, die aussieht wie eine Weggefährtin von Christian Dior, stilvoll gekleidet, besonders, auch sie trägt kaum Make up, keinen Lippenstift. Ihr Gesicht ist ausdrucksstark wie aus einem Gemälde der Renaissance. Dazwischen befinden sich die Leute aus dem Quartier, die die Marquise regelmäßig besuchten, ihr von dem Leben, ihrem alltäglichen Leben, da draußen in den Straßen berichteten.

Wie sagte Queen Elisabeth kurz bevor sie starb: „Wenn man alt ist, kann sich niemand vorstellen, dass man jung war.“ Die Marquise Chantal d’Amat galt als eine der schönsten Frauen von Paris. So ist das Leben, es endet irgendwann, zunächst als „alte Dame aus dem Vorderhaus“. Aber wenn wir Glück haben, dann addiert sich dazu ein Name, eine Erinnerung mit festlicher Würde und Haltung, wie wir sie an diesem Donnerstag Morgen hier in Paris erleben durften.

Später gehen wir viele Stunden Arm-in-Arm durch die Straßen, es regnet leise. Wir reden wenig. Wie schön diese Stadt doch ist. Morgen geht es dann auf die Hochzeit. À bientôt!