Eine neue Kollektion ist wie ein Buch schreiben. Vor mir liegen die weißen, leeren Seiten. Wie fängt man an? Welches ist im übertragenen Sinne der erste Satz … Wochenlang habe ich gesammelt, intuitiv versucht, in die Zeit hineinzuhorchen: Was deutet sich an, was wird kommen? Wie sieht die Zukunft aus? Wir sprechen nicht von dem Frühjahr, sondern von dem Herbst, der Jahreswende 2023/24. Keiner wagt eine Prognose, Unsicherheit begleitet uns seit vielen Monaten, politisch und gesellschaftlich. Aber genau das sind die Faktoren für die Trends, die sich in der Mode niederschlagen.
Mittwoch geht es nach Paris zur Premier Vision, der größten Stoffmesse weltweit. Ich werde Toska sehen, wahrscheinlich treffen wir uns an der Station Chatelet oder an einem der anderen großen Metro-Knotenpunkte auf dem Weg zum Parc d’Exposition. Ein bisou, sie wird mich anschauen, wie jedes Mal, und fragen: „Was ist Dein Thema?“. Dann zieht sie erwartungsvoll eine Augenbraue leicht hoch und wartet ab.
Ich hab’s, seit zwei-drei Tagen weiß ich genau, was ich will, sehe vor mir alle Details einer neuen Kollektion. Was für ein berauschendes Gefühl.
Ich kritzele überall meine Notizen hin, sammele Zettel mit Kaffee bekleckert und mit Stichwörtern, die keiner entziffern kann außer mir, sehe die Realität um mich herum durch einen fremden Filter. Nichts ist mehr, was es noch gestern war.
Wer meint, das hier wäre ein aufgebrochener Asphalt und ein Bordstein mit Blättern, meinetwegen, ich sehe hindurch etwas ganz Wundersames und das ist … ? Nein, ich verrate nichts, die ersten Bilder und Sätze einer Geschichte sind fragile tagscheue Geschöpfe.
Toska wird die erste sein, die das Thema erfährt, und ich ahne jetzt schon, wie sie ihre Bedenken äußert. So wie jedes Mal, als ich beispielsweise von Holland und den Wasserlandschaften erzählte, von den Fabeln oder von den Quallen eines Ernst Haeckel. „Fair enough“, würde sie lakonisch antworten, sich ihre Zeit nehmen, schweigsam einen Café au lait trinken, bis sie in meiner Gedankenwelt landet, dort wo … (Pst!)
In der Zwischenzeit genieße ich die heimlichen Anfänge, wie sich das Gewirr um mich herum sortiert, scheinbar unlogische Versatzstücke addieren. Ich schreibe auf: „Als ich Kind war, hatte ich schlimme Albträume, unter meinem Bett lebten Krokodile, Schränke wurden zu amorphen Monstern und die düstere Kiefer vor dem Fenster schlengelte sich mit ihren armartigen Ästen in mein Zimmer hinein, um nach mir zu greifen …
„Du hast zu viel Phantasie“, sagte meine Mutter, „da ist nichts!“ – Doch … ich kann es sehen. Lasst Euch überraschen.
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