Geburtstag vorbei, After-Party auf dem Campingplatz, Abhängen mit den Freunden, das Bad im Meer … Herrlich, das Leben hier auf der Insel mit seinen vergnüglichen Ablenkungen, und dann hagel ich dazwischen mit einem Thema, dem wir nicht mehr entweichen können, so sehr wir es auch im Hinterkopf verstecken: Klimawandel, Erwärmung, Anstieg des Meeresspiegels. Das „Zuviel Wasser“ gibt es nicht nur aus der lieblichen Perspektive der niederländischen Malerei des 19. Jahrhunderts.
Im März diesen Jahres lernten meine Tochter Toska (22) und ich den Abenteurer und Buchautoren Christian Rommel auf der MS EUROPA kennen, wo er als Referent über Papua Neuguinea sowie West-Papua nicht nur uns beide, sondern auch alle anderen an Bord, mit seinen Berichten fesselte. Vor ein paar Wochen habe ich ihn gefragt, ob er nicht für mich einen Artikel verfassen könne über eines seiner 128 bereisten Länder, in denen die „Zeitenwende“ und das „Drowning“ (Ertrinken) auf dramatische Weise sichtbar wird. Hier ist sein Report.
Christian Rommel: Land unter in Tuvalu
Jeden Tag schlagen wir die Zeitung auf und die omnipräsenten Schlagworte springen uns förmlich in die Augen: Klimawandel, Globale Erwärmung, Polschmelze, Anstieg des Meeresspiegels – angsterregende Vorboten einer menschgemachten, äußerst unerfreulichen Zukunft, an der die Erde letzten Endes zu Grunde gehen wird.
Riskieren wir bedenkenlos unsere einzigartige Natur als Resultat grenzenlosen Wachstums? Fällt unser fragiles Ökosystem unserer unersättlichen Gier nach immer mehr zivilisatorischen Fortschrittszeugnissen zum Opfer? Versinken noch zu unseren Lebzeiten die ersten einsamen Inseln in den unendlichen Weiten des pazifischen Ozeans auf ewig im Meer und werden so ungewollt zum ebenso traurigen wie entmythisierten Atlantis der Neuzeit? Oder sind diese dramatischen Umweltauswirkungen, mit denen wir tagtäglich medienwirksam konfrontiert werden, doch nur apokalyptische Meinungsmache, wie es von Wissenschaftsverklärern aus dem trump´schen Lager postuliert wird? Was ist Fakt, was Wirklichkeit?
Um diesem ambivalenten Szenario auf die Spur zu kommen, reiste ich kürzlich nach Tuvalu, einem winzigen tropischen Inselparadies in den unendlichen Weiten der türkisfarbenen Südsee. Das Staatsgebiet Tuvalus umfasst nur eine Landfläche von 26 Quadratkilometern und ist nicht nur eines der kleinsten, sondern auch das mit großem Abstand am seltensten bereiste Land der Welt. Gerade mal 11.000 Menschen nennen Tuvalu ihre Heimat, die unter dem strengen Blick des britischen Staatsoberhaupts Elizabeth II. auf sechs Atollen und drei Inseln siedeln.
Anders als die farbenprächtigen Blumenkränze aus Hibiskus, die während des Hurricane-Day-Festivals im Oktober getragen werden, sieht die Zukunft Tuvalus nicht sehr rosig aus. Die Böden der Koralleninseln sind karg und die Humus-Schichten zu dünn, um nachhaltige Landwirtschaft zu betreiben. Die übermäßige Entnahme von Grundwasser und manches hydrologisch problematische Bauprojekt führen dazu, dass salziges Meerwasser in die Aquifere drückt. Das erschwert die Nahrungsmittelproduktion und Erosion und Dürren gefährden zusätzlich die Trinkwasserversorgung.
Doch die Inselstaaten haben noch andere, ernsthaftere ökologische Probleme, die von außen drohen. Wirbelstürme und Springfluten werden immer häufiger und stärker. Die letzten haben die kleine Hauptstadt Funafuti wochenlang knietief überflutet und den ohnehin nährstoffarmen Boden für Monate unfruchtbar gemacht.
Schuld hat einerseits die besondere Topographie Tuvalus. Die höchste Erhebung des polynesischen Archipels liegt gerade mal vier Meter über dem Meer. Die Einwohner versuchen vergeblich, den Naturgewalten zu trotzen, doch keine Deiche schützen die schmalen Inseln, denn für Deiche und mühsam bepflanzte Dämme gibt es einfach nicht ausreichend Platz.
Wir alle haben Anteil an Tuvalus Schicksal. Warum? Die westlichen Industriestaaten verbrauchen zu viele fossile Brennstoffe, verursachen Treibhausgase und sorgen mit Ignoranz der Umweltverschmutzung für Klimaveränderung, mit dem Ergebnis, dass der Meeresspiegel dramatisch ansteigt. Dieses Phänomen zeigt sich im Südpazifik leider doppelt so schnell wie im weltweiten Durchschnitt. Sollte der Meeresspiegel bis 2100 tatsächlich um einen ganzen Meter ansteigen, wie das extremste Szenario des Weltklimarats es beschreibt, könnte es für viele Inselstaaten wie Kiribati oder die Malediven gefährlich werden und bald schon könnten die ersten Atolle wie Tuvalu in den Fluten versinken. Es wäre das erste Land, das seit Menschengedenken von den Landkarten verschwinden würde.
Entsprechendgehört es zum fest etablierten Prozedere internationaler Klimakonferenzen, dass Präsidenten und Abgesandte von bedrohten Südsee-Inselstaaten auf die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Heimat hinweisen und den Mächtigen der Welt ins Gewissen reden. Tuvalus Premierminister Enele Sopoaga hat erst im November 2018 auf der Bonner Klimakonferenz wieder vorgetragen, wie sehr sein Volk „um seine Zukunft fürchtet, jeden einzelnen Tag“.
Mittlerweile hat sich der Begriff „Klimaflüchtling“ etabliert, wenn Bewohner versinkender Inseln umgesiedelt werden müssten. Viele haben bereits Asyl in anderen Staaten wie Neuseeland beantragt – bisher erfolglos. Die mit einer Umsiedelung auf andere, bislang kaum bewohnte Inseln, wie z.B. die Fidschi-Insel Kioa, verbundenen Kosten sollen die Industriestaaten als Verursacher der Klimaerwärmung übernehmen, was neue Diskussionen auslöst.
Der tosende Pazifik auf der einen und kleine Inselchen auf der anderen Seite. Früher paddelten die Einheimischen Tuvalus noch zum Picknicken auf die kleinen Sand-Eilande in der Lagune. Heute ragen dort nur noch die Wipfel überschwemmter Kokospalmen aus dem türkisfarbenen Wogen. Und immer öfter schauen die Menschen besorgt aufs Meer – verzweifelt die Balance zwischen Traum und Alptraum suchend.
Ob Tuvalu nun irgendwann untergehen wird oder nicht, spielt eigentlich keine Rolle. Tatsache ist, dass sich Klimaforscher einig sind, dass der Meeresspiegel im Südpazifik beständig ansteigt. Die angestammte Heimat von 11.000 Menschen am anderen Ende der Welt ist in Gefahr, Opfer einer rücksichtslosen Lebensweise westlicher Industrienationen zu werden. Tuvalu ist ein Symbol für die geknechtete Natur und wir tragen daran die Schuld. Dafür sollten wir nun auch die Verantwortung übernehmen oder – besser – es gar nicht erst soweit kommen lassen. Christian Rommel
Es werden weitere Artikel zu diesem Thema kommen. Auch meine Tochter Roma (24) habe ich aufgefordert, etwas aus ihrer jungen Perspektive zu schreiben. Einen Termin könnt Ihr Euch trotz der Ferien schon mal notieren, den 20. September 2019: „Zeitenwende“, ein Freitag, an dem sich die Erwachsenen symbolisch den Jungen anschließen, um Maßnahmen gegen den Klimawandel einzufordern. Wir werden uns in der MILCHSTRASSE 11 mit einem Vortrag beteiligen und Christian Rommel dazu einladen. Wie heißt es in dem Aufruf, den die Süddeutsche Zeitung im Mai dieses Jahres abdruckte, formuliert von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt:
„Wir sind die Menschen, die zufällig in einem historischen Moment leben, in dem unsere Entscheidungen die Zukunft noch auf Zehntausende Jahre beeinflussen: wie hoch die Meeresspiegel ansteigen, wie weit sich die Wüste ausbreitet, wie schnell die Wälder brennen. Ein Teil unseres Wirkens muss darin bestehen, die Zukunft zu bewahren.“
One Comment