Die Schreibsituation ist heute Morgen etwas schwierig: Bahnhof Altona, eisig kalt, die ersten beiden Züge nach Westerland sind ausgefallen, Schnee-Chaos, mein Computer hat kein Akku mehr (?). Ich sitze mit Wolldecke fröstelnd im Bistro, neben mir gut-gelaunte Leidensgenossen mit dröhnend süddeutschem Akzent. Den Text tippe ich auf dem Handy. Kaffee, Tee, Tempo Taschentücher. Auf geht es in eine verwobene Welt des Papiers.

Unser gestriger Talk-Gast war Silke Janssen, studierte Ökotrophologin, die vor mehr als zwanzig Jahren einen radikalen Neustart wagte, um eine Ausbildung zur Weberin zu machen. Altes Handwerk, etwas schaffen, das sich der Konsumwelt entzieht, das keiner in der Vervielfältigung kaufen kann.

„Ich wollte das Chaos in meinem Kopf in den Griff bekommen“, bekennt sie offenmütig. Gleich zu Beginn unseres Gespräches sind die Eckdaten damit skizziert für etwas, was ich immer wieder über die letzten Monate als Trend bezeichne: sich der Geschwindigung von Hightechnologie und KI entziehen. Ihr Sohn hielt sie damals für verrückt, mittlerweile sieht er es anders.

Während wir nebeneinander sitzen, höre ich intensiv zu, beobachte ich sie, wie reflektiert sie ihre Sätze forumuliert. Ihre Hände sind dabei in ständiger Bewegung, egal, ob sie damit ihr Gesagtes unterstreicht oder uns die Beschaffenheit der Garne aus Papier demonstriert.

Sie beschreibt den Vorgang des Webens: Eine Struktur finden, den widerspenstigen rauhen Papierfaden bändigen, der von links nach rechts geschoben wird, die Arme kreuzen sich dabei, die Füße bedienen das Pedal. Körper und Geist sind in ständiger Koordination miteinander.

Henkeltasche aus Papiergarn und Leder, leicht, robust, Unikat (€ 340)

Es entstehen Rechtecke für Taschen und Clutches von einer zeitlosen Leichtigkeit. In jedem gewebten Stück stecke etwas von ihr, so erzählt sie, und geht noch einen Schritt weiter, indem sie ihre eigenen Papiergarne spinnt mit Zeitungsausschnitten, Gedichten oder Texten von Kinderliedern.

Clutch aus Papiergarn und Zeitung, € 280

Silke Janssen entdeckt für sich die über 500 Jahre alte Shifu Technik, die ihren Ursprung in der ländlichen Bevölkerung Japans findet. Altes Papier, Rechnungsblöcke, Notizen wurden in lange Streifen geschnitten, um daraus Garne und Kleidung zu fertigen als Ersatz für fehlende Wolle.

Es gibt die Sage, dass eine geheime Botschaft in das Garn versponnen und zu Kleidung verwebt wurde, mit der ein Kurier losgeschickt wurde durch feindliches Land. Als er am Ziel eintraf, röbbelte man die Kleidung auf, um die Nachricht zu entschlüsseln.

Ich muss an die Fabel von Jean de La Fontaine denken: Prokgne und Philomela, wo die Königstochter der Schwester ihr Leid in ein Tuch verwebte. Materialien werden zu Inhaltsträgern und erhalten eigene Werte.

Kleine Umhängetasche aus Papiergarn, Unikat (€ 320)

Die Taschen, die vor neun Jahren entstanden, markieren eine Episode in dem Schaffen der Künstlerin. Das Weben ist geblieben, ergänzt durch die Fotografie, gedruckt auf handgeschöpftem Japanpapier.

Spiegelung eines Baumes, Fotografie auf Japanpapier, € 480

Es geht um Natur, um das Sehen, wie es sich in Lagen übereinander schiebt, hauchdünn. Zufall und Komposition „verweben“ sich zu Bildern.

Als letztes erzählt sie über ihre Schalen aus Papier und Watt. ‚Ist es nicht schön, etwas zu haben, das zu nichts nutze ist“, so in etwa mag sie es formuliert haben. Die fragilen Objekte liegen in der Hand, als kämen sie aus der Ur- und Frühgeschichte, vergraben über die Jahrtausende, Relikte einer anderen Zeit.

Schale Watt aus Papier, Kleber und Watt (Sylt), 2023 (€ 220)

Die Watt-Schalen schließen für mich den Kreis in einem Schaffen, das nach Alternativen sucht, nach einer Nische, die sich gegen den Wahnsinn der Zeit stemmt. Die Nähe zur Natur ist dabei allgegenwärtig.

Es sind die kleinen Dinge, die unserer Aufmerksamkeit verlangen, der Wassertropfen, die Spiegelung, die Spuren im Watt, die Reste von Geschriebenen, Strukturen, Oberflächen …

Wenn sich all das in künstlerische Formen verwandelt, dann nimmt es die Energie mit, die es braucht in einer allzu schnell routierenden Dingwelt. Danke Silke für diesen It’s a Dienstag.