Eng sind die Zeilen geschrieben in meinem Skizzenbuch, eilig quetschen sie sich zwischen die Motive und Stoffschnipsel. Es geht um Pierre Bonnard (1867 –1947) und das Interieur. Meine Gesprächspartnerin ist wieder einmal die Kunsthistorikerin Dr. Karen Michels. Ich notiere Gedankenfetzen, wir sind im regen Austausch. Seit wann sprechen wir vom Interieur als eigener Kunstgattung?

Wie ich das liebe, wenn Karen spontan aus dem großen Schatz ihres Wissen schöpft und ich in die Rolle der neugierigen „Profiteurin“ schlüpfe. Wie selbstverständlich landen wir im 17. Jahrhundert und in den Niederlanden, deren wohlhabendes aufgeklärtes Bürgertum nach der christlichen Malerei nun den Alltag für die Kunst entdeckt.

Der Ort ist ein mathematisch organisierter Raum mit „geometrischen Wahrheiten“, wie Karen es beschreibt. Er besitzt eine Perspektive. Man kann Dimensionen, Abstände, vorne und hinten klar zuordnen. Licht und Schatten modellieren die Gegenstände, und es entwickeln sich kleine älltägliche Gesten, die sich zu Erzählungen weiterspinnen lassen. Ein Brief, der gelesen wird, eine Magd, die ein Getränk bringt …

Schon spazieren wir weiter durch die Kunstgeschichte, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, und springen um zwei Jahrhunderte zu Adolph von Menzel (1815 – 1905). „Das Balkonzimmer“ (1845) erzählt nichts mehr, es sei denn der Betrachter addiert seine eigene Geschichte dazu. Es ist eine Momentaufnahme von Licht und Farbe. Konturen lösen sich auf, und dennoch erkennt man im scheinbar Zufälligen die Sorgfalt der Komposition (Spiegel, Bild im Bild, Stühle).

Wir sind bei Pierre Bonnard angelangt, diesem Künstler des Übergangs, wie ich ihn bezeichnen würde, dem letzten Impressionisten, dem Nabis, der doch nicht „wild“ genug ist. Für ihn befreit sich das alte Genre des „Interieurs“ zu einem Wechselspiel von dekorativer Fläche und atmosphärischem Raum. Deutlich erkennt man den Einfluss Japans in seinen Gemälden.

Wir streiten uns, welche Bedeutung Bonnard zukommt. Karen findet ihn zweitrangig, deutlich bleibt er hinter dem übergroßen Matisse zurück. Ich verteidige seine Welt aus zarter und leuchtender Malerei, die eine Privatheit besitzt auf der Suche nach der Idylle, mit scheuen Ausblicken von Fenster, Spiegel und Bildern an der Wand.

Ich verwende das Wort „duftig“, Karen mag es nicht, sie würde „pudrig“ gelten lassen. Es ist für mich etwas anderes. Jeder denkt für sich ein wenig nach, bis wir uns darauf verständigen, dass die Arbeiten von Bonnard Anklänge an ein Paradies besitzen, indem der Künstler versucht, mit Farbe eine ewige Schönheit einzufangen.

Vielleicht ist es das, was ihm die Bewunderung von Matisse einbrachte und ihn gleichzeitig im Kunstbetrieb zurücksetzte: die intime Stille in seinem Werk, die sich gegen eine Zeit stemmt, die auseinander fällt.