Wieder einmal springe ich in meinen Rollen und werde zur spontanen „Fachverkäuferin“ für Kunst, wie wir scherzend meinen Job als Ersatz-Assistentin der Galerie Thomas Holthoff betiteln. Gestern startete die Affordable Art Fair in Hamburg, die Kunstmesse, auf der keine Arbeit über € 7.500 kosten darf, und die mittlerweile zu einer festen gesellschaftlichen Institution geworden ist. Man kennt sich, man grüßt sich, die Kunst wird zur Smalltalk Nebensache. – Das werden wir ändern!

Peter Buechler, All my Life as a Bird, 2022, Direktdruck auf Aluminium, Acrylglas, 95 x 120 x 8 cm, € 6.900

Mein Verbündeter ist der Berliner Künstler Peter Buechler. Ich mag seine Arbeiten schon lange, aber wir lernen uns erst jetzt persönlich kennen: „Ach, Du bist DIE Birgit!“ begrüßt er mich. Jawohl, ich muss lachen. Ich bin „DIE“ und er ist „DER“ Peter Buechler, dessen Bilder und Objekte mit unserer Wahrnehmung spielen, um sie in vielfältige Schichten des Erzählens zu führen.

Ich frage mich sogar, ob der Schalk das rote Quadrat rechts von meinen Füßen auf den Messeboden gemalt hat. Mein Rock gefällt ihm, und er bittet mich in der Nähe seines Bildes zu verweilen. Gerne, wenn er mir Gesellschaft leistet! Schon bleibt die erste Gruppe stehen, magisch angezogen von dem leuchten Rot-Orange und dem „THE END“,  wie es im Abspann von Filmen steht.

Erinnern wir uns an das Gefühl, wenn das Wort auftaucht, die Popcorn-Tüte leergegessen ist, gleich das Licht im Kino angeht. Wir hängen noch in dem Geschehen, rollen die Bilder zurück und spinnen uns fort in die eigenen. Genau hier hält Peter Buechler seine Erzählung an: THE END.

Mir scheint, als würde das Objekt zu einem der meistfotografierten der Messe avancieren. Peter und ich lauern davor, wann wird jemand auf den Vogel eingehen, der halb gemalt ist, der Rest ist Zeichnung, nicht ganz vollendet oder schon verflüchtigt. Wir verwickeln die nächsten Betrachter in ein Gespräch.

Die eine wehrt ab, in ihrer Wohnung wäre kein Platz, die andere überlegt einen Bankkredit mit Ratenzahlung für einen eventuellen Erwerb. Alle möchten, dass der Künstler die Deutung übernimmt. Der Hamburger Star-Architekt Hadi Teherani feiert seinen passenden Anzug und macht sich Notizen. Ja, vielleicht, interessant …

Hadi Teherani vor der Arbeit von Peter Buechler

Es ist viel los am Stand, das Hamburger Abendblatt fotografiert uns. Zwischendurch verkaufe ich eine Arbeit von Andrei Pop aus Rumänien, begrüße Rudi Kargus und Peter Lohmann. Auch Thomas ist busy, begrüßt und erzählt.

Links Andrei Pop, rechts Rudi Kargus vor ihren Arbeiten.

Ein Foto mit Muriel Zoe, auch dieses Bild ist verkauft, sie und ich haben von Annie Ernaux „Die Scham“ gelesen, als würde es uns verbinden, obwohl wir uns kaum kennen. Wieder eine Begegnung. Es bringt unglaublich viel Spaß, immer wieder ist es ein wildes Assoziieren vor den Arbeiten. Ich plaudere mit den Künstlern, lasse mir Dinge erklären und addiere meine Seherfahrungen.

Muriel Zoe, Fadenspiel, 2022, Öl auf Leinwand, 150 x 120 cm

Thomas und ich huschen aneinander vorbei, linke Seite, rechte Seite, hey lob mal Deine engagierte Kunstfachverkäuferin. Wir grinsen uns an. Läuft gut, hier ist die Kunst gerade mal zur schönsten Hauptsache geworden.

Ein Objekt-Bild von Alex Ewerth ist verkauft, ein neues wird gerade gehängt. Sie ist die Künstlerin, durch deren Atelier ich abends spät in mein Tempel-Schlafzimmer gehe und morgens wieder daran vorbei nach draußen husche. Auch sie habe ich gern, wie sie in ihren Welten verweilt, die zu schlummernden Tiefsee-Träumen werden.

Alex Ewerth, Golden hour, 2022, Acrylfarbe, Bleistift, Tinte, Draht, Sand, Moos, Kanninchenschädel, Inkjet auf Leinwand, Gaze hinter Museumsglas, 100 x 80 cm, € 7.500

Und dann kehre ich zurück zu Peter Buechler. „Kennst Du Rachel Carsons Buch The silent Spring„, frage ich ihn und erzähle daraus. Anschließend meint er nur: „Sieht der Vogel nicht wie ein lieber Vertrauter aus?“ – Ich nicke und ergänze: „Irgendwie schutzbedürftig“. Es ist hermetisch still in dem rot-orangenen Plexiglas-Kasten.

Die Affordable Art Fair geht noch bis kommenden Sonntag, den 13.11.2022. Heute Abend ist bis 22:00 Uhr geöffnet, wer will, trifft mich, die engagierte „Fachverkäuferin“, wieder an und natürlich den Galeristen Thomas Holthoff und manch einen Künstler und eine Künstlerin.