Normalerweise würde ich mir am heutigen Tag ein Alter Ego wählen, so wie die Jahre zuvor: Jean de La Fontaine (*8.7.1621), der große französische Fabelerzähler, dem ich sogar eine ganze Kollektion widmete, oder John Pemberton (*8.7.1831), der die Coco-Cola Rezeptur erfand, zum Sechzigsten wählte ich Artemisia Genteleschi (8.7.1593), die berühmte italienische Barockmalerin, und warf mich im Brokatkleid von Prada vor die Kamera. Dieses Mal ist es etwas anderes, ich entscheide mich für ein ganzes Jahr: 1961, denn ich werde so alt, wie das Jahrhundert, als ich geboren wurde.

Geburtstag 2021 in Prada, mein Atler Ego Artemisa Genteleschi

Zu diesem Anlass trage ich einen Rock von André Courrèges, der in den sechziger Jahren radikal die Mode für die Frauen veränderte. Es ist ein gelber Minirock genau aus dieser Zeit. Und so wie damals fühlt es sich frei und unbeschwert an. Aber zurück zu 1961!

Es begann am 1. Januar mit wolkigem Himmel, Graupelschauern, Temperaturen um die Null Grad. Meiner Mutter war übel, wie überhaupt die letzten Wochen, ungewollt schwanger. Am 22. Januar ihr Geburtstag, sie wurde 21, Heirat wenig später. Ich erinnere noch das Bild meiner Eltern frösteln auf der regennassen Terrasse im kurzem Brautkleid und Anzug. Sah eher nach Schreck aus als nach Glück. (Das Foto ist verlorgengegangen.)

Kurz zuvor war John F. Kennedy als neuer Präsident in den Vereinigten Staaten vereidigt worden. Eines der wenigen herausragend positiven Ereignisse in diesem schwierigen Jahr, eine Generation nach Kriegsende, in der es nicht zur Ruhe kommen wollte: Algerienkrieg, Schweinebuch-Invasion (17.4.1961) …

Zum Glück gab es am 12. April für die Sowjetunion ein Highlight (und in gewisser Weise auch für die ganze Menschheit), denn Juri Gagarin startete den ersten bemannten Raumflug und konnte einen Blick von oben auf unsere Erdkugel werfen.

23. Juni 1961. Meiner Mutter war mittlerweile nicht mehr schlecht und ihr Bauch kräftig angewachsen. Der Antarktisvertrag tritt in Kraft, das internationale Abkommen, das der unbewohnten Antarktis ausschließlich die friedliche Nutzung sichern soll. Ein wichtiges Zeichen, dass Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung auch miteinander wohlwollend umgehend können (zumindest für eine gewisse Zeit).

Dann gibt es noch eine Menge anderer Verträge, aber meine Mutter war mit mir beschäftigt. 8 Juli meine Geburt. Es soll in den frühen Morgenstunden gewesen sein, keiner konnte sich so recht erinnern, der Rest ging in Geschrei auf oder unter, Dauergeschrei für die nächsten Monate. Trotzdem lief das Jahr weiter und das gar nicht so gut.

Am 10. August stellt zwar Großbritannien den Beitragsantrag für die Europäischen Gemeinschaft (EWG), und auch Dänemark will dazu gehören. Aber schon drei Tage später, am 13. August, bricht die Welt auseinander, Bau der Mauer, ein Eiserner Vorhang trennt fortan Ost und West voneinander.

Am 25. Oktober fahren sowjetische und amerikanische Panzer am Check-Point Charlie auf. Ich weiß nicht, ob sich meine Eltern mit einem bevorstehenden 3.Weltkrieg auseinandersetzten oder durch meinen Hausterror abgelenkt wurden. Sie erzählten jedenfalls immer nur von letzterem. Aber im Ernst, wie kann man lieb und still sein, wenn man in solch eine Welt hineingeworfen wird?

Und so bin ich nicht lieb und nett geworden, war ein wütendes Kind und ein noch wütender Teenager. Habe immer danach gesucht, was der Sinn in meinem Leben sein könnte. Ich bin auf dem Weg … „Enjoy the ride“, wie Cousinchen mir heute morgen als Erste wünscht. Mehr davon dann in einem Jahr, am 8.7.2023. Bleiben wir uns alle erhalten oder wie eine liebe Leserin mir schreibt: „Bleiben Sie behütet“, das hätte 1961 dringend gebraucht.