Diese Erkenntnis erleichtert uns doch ungemein den resoluten Start in diesen Tag, an dem die Hälfte der Nation im karnevalistischen Dauerrausch versunken ist. Hier im Nord verhält es sich derweil ruhig und friedlich, trüb und ereignislos. Ich kann mich also ganz meiner „Monsterforschung“ hingeben, die die neue Kollekton „Childhood“ rund um das allgegenwärtig geisterhaft Beseelte erfordert.
Eine neue Freundin, idealer Weise Psychotherapeutin, spielte mir die folgende pseudowissenschaftliche Publikation in die Hände: Christian Moser „Monster des Alltags“, Carlsen Verlag, erweiterte Neuausgabe, Hamburg 2007. „Ein Ausredenparadies für menschliche Schwächen“, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt.
Ich blättere und fühle mich auf überraschende Weise endlich verstanden, erklärt, getröstet und beruhigt. Es gibt sie also, diese gruseligen Wesen, aufgeteilt und kategorisiert in die „unangenehmen“ und „wirklich bösartigen“, die uns begleiten, verfolgen und (letztere Kategorie) in den Abgrund treiben wollen.
Aber zurück zum Anfang: Wir sind nicht schuld. Damit fällt ein großer Wissenschaftsbereich der Selbstanalyse kurzum anheim. Das Übel wird ausgelagert. Geschickt schieben wir die „Monster-Gesellschaften“ gleich rüber zu den sogenannten „anderen“ und betreiben ein raffiniertes „Othering“, wie es in den Sozialstudien heißt: Me, myself and I. Wir und der Rest.
Die Liste der Monster des Alltags ist lang, wie man sich vorstellen kann. Da gibt es die Unpünktlichkeit, Unaufmerksamkeit, Wichtigtuerei (allesam Kategorie „unangenehm“) … Ja, der Autor hat sogar die „Tollpatschigkeit“ mit in diese Gruppe aufgenommen. Die finde ich eigentlich nicht „monsterhaft“, sonder eher amüsant.
Ich greife mal den STRESS heraus, „der Partylöwe unter den Monstern. Sobald irgendwo etwas los ist, wann immer mehrere Monster am selben Opfer zerren (s.a. Tatendrang, Hektik, Übermut) gesellt er sich dazu. Er drängt sich in den Mittelpunkt und lässt es so aussehen, als ob sie alle seinetwegen da wären – Hauptsache, alles dreht sich um ihn. (…) Der Stress ist ein Marketing-Genie.“
Sorry, nun muss ich doch am Fashings-Dienstag als Nordlicht herzlich lachen über das Monster der „Inneren Leere“, eine „penetrante Langweilerin“, wie der selbsternannte Erforscher sie nennt (zum Glück ist er nicht auch noch Prä-Astronaut und Quantenphilosoph). Dieses Monster gibt vor, inhaltschwer daher zu kommen und sorgt doch nur dafür, „dass es auch beim Opfer drinnen schön leer bleibt.“ Ist das fies.
Die Monster-Hektik (lat. festinatio praeceps) tritt nur im Rudel auf. Klar, weil alle anderen gleich mega-monster panisch infiziert werden. Über „eitelkeit, die“ (lat. vanitas invidiosa) möchte ich nicht schreiben. Sie ist komplett spaßbefreit. Ups, und dann lese ich noch über den Ordnungswahn und bin spontan ins eigene Dasein geworfen. Da heißt es auf Seite 43 von Band 1 der Monster-Enzyklopaedie: „Der größte Feind des Ordnungswahns ist das Leben selbst mit seinem Staub und seiner Krümelei …“ Wo Licht ist, ist auch Schatten mit dem Monster Sauerei: „Putzen lohnt sich nicht – es wird doch ohnehin alles wieder dreckig.“
Ihr merkt, die Abgrund-Monster lasse ich weg und nehme stattdessen noch so ein charmantes hinzu, wie das Monster der Vergesslichkeit. Er oder sie, Monster sind grundsätzlich geschlechtsneutral, ist ein Lebenskünstler, und einen Kollegen wird man in seinem Umfeld nie finden, das Monster Schlechtes Gewissen. Es ist vergessen!
Somit kann ich getrost diesen Beitrag ein wenig fatalistisch enden lassen. Monster sind genügsam, wir müssen sie nicht sonderlich pflegen und füttern, sie leben beharrlich ein Schattendasein und kommen raus, wenn wir sie nicht brauchen. Sie sind unsere geprügelten Stellvertreter, denn wir (!), wir können auf jeden Fall nichts für unsere Monster – oder?
Ansonsten haben wir unsere Coaches, Therapeuten, Seelsorger, Schamanen, Yoga-Schweige-Retreats, den Karneval … und eine CHILDHOOD Bluse.
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Liebe Birgit, da freut sich die neue Freundin und Psychotherapeutin natürlich sehr, dass die Monster nun endlich ans Licht kommen. Es gibt nämlich einen Monster-Trick: bei Licht besehen verlieren sie ihren Schrecken. Aus ihrem, in der Regel dunklen, Aufenthaltsort herausgeholt, können sie sehr viel mehr als Angst, Furcht und Schrecken verbreiten. Möglicherweise werden sie zum treuen, verlässlichen Ratgeber, lehren uns die Gesetze der Lebendigkeit, fördern unsere Fähigkeit, selbstverantwortlich Entscheidungen zu treffen und vor allem, ihnen liebevoll interessiert zu begegnen. Du magst es glauben oder auch nicht: Sie können dann keinen Schaden mehr anrichten und das eine oder andere Monster wird direkt sympathisch oder zum Lebensphilosophen, das uns die Verbindung von Licht und Schatten erklärt. Aber das Allerwichtigste: Die Monster haben keine Eigenmacht mehr und das unterscheidet sie von den Monstern der Kindheit, die übermächtig waren. Wir haben die Wahl, unsere Monster ans Licht zu holen, sie auszuführen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Wir haben uns gegenseitig viel zu erzählen In der Psychotherapie nennen wir das „Schattenarbeit“. Mit der Mode können wir das auch kreativ und spielerisch angehen – eine gute Möglichkeit, finde ich. Liebe Grüße von der Insel, hier bricht gerade das Licht durch das Grau 😉 Christine