Wer ist Dominique Jean Larrey, dass er in meinem Blog landet? Es entwickelt sich ein Rätsel, das etwas mit mir selbst zu tun hat. Lasst mich ein wenig seine Vita entblättern: Geboren wurde er 1766 als Sohn eines Schumachers in bescheidenen Verhältnissen in Südfrankreich. Als sein Vater starb, kam er zu seinem Onkel, Chef-Chirurg in Toulouse. Er studierte ebenfalls Medizin, heiratete eine Künstlerin, machte Karriere, wurde französischer Militärarzt und Leibarzt von Napoleon Bonaparte. Ein Europa im Krieg, ein Mann inmitten der vordersten Gefechtslinien.

Behelfsbrücke über die Beresina, die französischen Truppen ziehen sich aus Russland zurück, 1811/12

Es bleibt immer noch ein Mysterium, warum ich über ihn schreibe. Blumen vor meinem Haus, der Weg ist damit gesäumt, die Sonne scheint warm durch das Fenster. Auf geht es an den Strand, mit dabei Roma, gerade aus der Réunion eingetroffen, und ihre Freundin Sybilla.

Das Meer ist karibisch. Ich bilde eine meiner geliebten Assoziationsketten: Kollektion, Muscheln, Humboldt, Napoleon, die beiden trafen sich einige Male, mochten sich jedoch nicht sehr. Hier bricht es ab. Kannte Humboldt den mittlerweile zum Baron geadelten Larrey?

Der deutsche Naturwissenschaftler und Entdecker hatte gewiss von ihm gehört, denn Larrey unterrichtete u.a. in Berlin-Tegel führende Mediziner. Schloß Tegel war der Humboldt’sche Stammsitz. Aber die Spur verläuft sich.

Selbst in unsere Familie hinein gibt es Verbindungen, Tadeusz Graf Tyszkiewicz (1776 – 1852) ritt an seiner Seite und neben Napoleon im Feldzug gegen Russland. Sein Wappen wurde Vorlage für mein countess_bridget Instragram Profil. Eine vage Fährte, die jedoch in die Irre führt. Das ist nicht der Grund für seine Erwähnung an dieser Stelle.

Ich recherchiere weiter: Larrey gilt als der Erfinder der fliegenden Lazarette („flying ambulances“). Er erkannte, wie wichtig es war, ganz nah bei den Verwundeten zu sein, keine langen Transportwege, auf denen die meisten an ihren Verletzungen starben. Außerdem entwickelte er moderne Methoden der Amputationen, Details erspare ich uns.

Ich denke mich in ihn hinein, mein heutiges Alter-Ego. Gut sieht er aus, kein vordergründiger Held, ernsthaft schaut er auf den Porträts der Zeit.

Yves Saint Laurent Vintage Mantel aus der russischen Kollektion.

Ob er lachen konnte bei all dem, was er täglich an Leid sah? Ob er lieben konnte in den Armen seiner Frau, wenn er sie denn einmal sah? Sie hatten einen Sohn. Sein privates Leben ist nicht in die Geschichte eingegangen, ich müsste es erfinden.

Zurück zur wichtigen Frage: Was hat ein Mediziner mit mir zu tun? Ich kann ja nicht einmal ein Pflaster richtig aufs Knie anbringen, muss jedes Mal überlegen, auf welcher Seite das Herz schlägt, und es ist für mich ein Wunder, warum sich mein Arm hebt und meine Fußzehen auf Befehl spreitzen.

Vielleicht ist es seine Hingabe, sein Mut und seine Unerschrockenheit, die mich fesseln, mit denen er sich den Respekt der Gegener verdiente, die ihn und seine Lazarette im Kampf verschonten.

Ich überlege weiter, schaue noch einmal auf sein Gesicht, die senkrechten Falten auf der Stirn, sorgenvoll und tatkräftig zugleich, die klugen und gütigen Augen, der Mund, der nur sparsam Worte zulässt.

Es ist seine Menschlich, die mich rührt, in einer Zeit der blutigen Feldzüge in Europa, die einen fundamentalen Wandel hin zu unseren modernen Gesellschaften nach sich zogen.

Deswegen habe ich ihn für heute gewählt, dem 8. Juli, seinem wie meinem Geburtstag.