Wann beginnt eine Reise, und wann endet sie? Peter Fleming, Reisejournalist und Bruder von Ian Fleming, der James Bond erfand, schrieb einmal, dass sie mit dem „Schock“ beginnt, wenn man den Zug besteigt. Und Ella Maillart, die mit ihm 1936 quer durch China fuhr, meinte: Eine Reise solle nie enden. Ich stimme beiden zu, meine in die Réunion begann mit der heißen feuchten Luft vor dem Flughafen von Saint Denise, La Réunion, die mich kaum atmen lies. Und seitdem bin ich „unterwegs“, wenn auch mittlerweile in Erzählungen darüber. Gestern noch einmal Paris mit Toska.

Wir treffen uns früh morgens in dem Café Au Claire de Lune, unterhalb von Sacre Coeur in Paris-Montmartre. Ihre Wohnung, meint sie, wäre nicht betretbar. Ich frage nicht weiter, hinter mir liegen gerade 12 Stunden Flug. Ich fröstele ein wenig, Paris empfängt mich mit spätwinterlichen Temperaturen.

Toska hat einen Instinkt für die versteckten, zunächst abgeranzt aussehenden Orte, die sich zu nostalgischen It-Places entpuppen. Der Besitzer besorgt mir Croissants (die besten, die ich je gegessen habe) und macht mir einen Café au lait (den besten, den ich je getrunken habe).

… Und ich beginne für die nächsten zwei Stunden ohne Pause zu erzählen. Meine Tochter lauscht noch müde von ihrer zu kurzen Nacht. Im Hintergrund hört man Miles Davis spielen. Was machen wir später? Sie schlägt vor, einfach durch Montmartre zu bummeln, dorthin, wo die Touristen nicht hinkommen…

Gut, nur noch ein Croissant, mein viertes, dann bin ich bereit, aufzubrechen. Trage noch die Turnschuhe und die kurze Hose von der Reise. Nur die nackten Beine mussten in Strumpfhosen verschwinden. Die pinkfarbene Muschelbluse wollte bei Roma bleiben, wo sie in meinen Erinnerungen hingehört: an den Bügel mit dem Nagel in dem Balken in ihrem Häuschen mit Blick auf den Ozean.

Szenenwechsel Paris, andere Farben, andere Gerüche … Ist diese Stadt schön, man kann auch das multiple Sonnengrau vermissen, das so sparsam und delikat mit seinen Farben umgeht.

Toska beschreibt mir die schmalen Gassen mit ihren Häusern, wer dort wohnte, wer dort seinen Absinthe trank, zeigt mir die schönsten Blicke auf die Stadt mit dem Eiffelturm dahinter. Ich erinnere mich noch, wie für sie Paris gleich Eiffelturm war und jede Reise zunächst dorthin gehen musste. Jetzt hat er für sie eine selbstverständliche Gegenwart.

Durch eine geheime Tür, die sich per Sprechanlage öffnet, kommen wir in die kleine private Passage und das Hotel Particulier, in dem ich mich sofort einbuchen könnte, weiße Tische und Stühle im Garten, man hört die Vögel. Wir begrüßen uns kurz, wollten nur mal „hallo“ sagen.

Die Superlative setzen sich fort: das schönste Studio mit den großen Fenstern. Picasso hatte 1900 um die Ecke sein erstes Atelier. Wir denken uns in die Räume dort oben und hinter die Fassaden der Häuser, vor denen sich der Frühling müht, ein wenig Grün zu zaubern.

Montmartre ist wirklich ein Dorf, ein Hügel im Norden der Stadt, der erst 1860 zu Paris kam, der berühmt wurde durch die Menschen, die hier lebten, malten, bildhauerten, schrieben: Renoir, van Gogh, Toulouse-Lautrec, Suzanne Valadon … .

Und so wie Toska mich hier durchführt, ist es ein Dorf geblieben, an dem sich nur an speziellen Orten die Touristen sammeln, wie vor der Wand, an der in allen Sprachen „Ich liebe Dich“ steht.

Es geht vorbei an dem nächsten „besten“, „einmaligen“, diesmal geht es um den Crêpe in Paris, leider mittwochs geschlossen. Ich komme wieder, flüstere ich noch schnell, bevor ich auf die andere Straßenseite wechsele.

Das älteste Kino oder das kleinste, auch egal, wieder ein Superlativ. Es steht so authentisch bescheiden da, als bräuchte es keine weiteren Attribute, die nur die Touristen anlocken. Amelie besuchte es in ihrer „wunderbaren Welt“. Toska ist auch eine Amelie, stelle ich fest.

Wir folgen den bunten Graffitis auf den Mauern, den Botschaften der Piktogramme, eine universelle Sprache der Sprayer, der Artists interdits. Wie kreativ sie sind, wie inspierend. Ich erzähle von Waroox und der verbotenen Galerie am Meer.

Mir ist nicht nach Selfie, sehe zu verhuscht aus, zusammengewürfelt meine Klamotten, als käme ich von einer „exzentrischen Dschungelsafari“, wie der Barkeeper vorhin meinte. Aber die gemalte Enten-Dame neben mir passte einfach zu gut zu meinen Farben.

Und so vergeht die Zeit in einem Dorf, das man Paris-Montmartre nennt. Bis es Zeit wird für einen Bisou, ein Abschied. Toska geht nach rechts, ich nach links, sie in ihr Chambre de Bonne, ich in den TGV nach Karlsruhe, weiter nach Hamburg. Wir sind zu müde, um uns nachzuschauen, wir tragen uns einfach mit, dorthin wo jeder geht.

Vielleicht habt Ihr auch mal Lust auf eine secret tour durch Toskas Paris. Kann ich nur empfehlen. Nur einmal hörten wir ein wildes Gemisch von American English und flüchteten schnell in eine der Seitenstraßen, wo man bald wieder die schönsten Abende verbringen kann (Créperie mit Stühlen draußen auf dem Gehsteig).

Wie Ihr merkt, bin ich immer noch in diesem „Zwischenbereich“ des Reisens, wie in einem emotionalen Schutzraum, um das Ankommen zu verschönern mit Bildern und Geschichten aus der weiten und nahen Ferne.