Der Sturm hat sich gelegt, die Sonne scheint warm und versöhnlich in unseren alten Friesengarten, Angela und ich sitzen im Strandkorb und unterhalten uns über meine und ihre Sommerlektüre: Susan Sontag, „Der Liebhaber des Vulkans“, 1992 erstveröffentlicht. Wir sind ein Match was die Besprechung von Büchern anbelangt, spätestens seit unserem Happening in der Badewanne über Bruce Chatwin, hat uns jeder als diskutierendes Duo in Erinnerung. Nun ist es dieser gewaltige Roman, der uns fesselt, den wir zu den 10 besten Büchern zählen, die wir je gelesen hat.

Wo fangen wir an in dem dichtgedrängten erzählerischen Werk über die Menschen, die sich unter dem Vulkan (Vesuv) am Ende des 18. Jahrhunderts und dem „Beginn der Zeit, die wir modern nennen“ eingefunden haben. Eine eruptive Epoche, es brodelt, es kocht, es explodiert. Der Berg ist allgegenwärtig als Metapher. Über den Cavaliere, den britischen Botschafter, den Sammler und das Sammeln hatte ich schon berichtet.

Wenden wir uns den Frauenfiguren zu, einem zentralen Thema in diesem Roman und in einer geschickten Spiegelung aufgebaut. Catherine, die erste Frau des Cavaliere, ist zart, zerbrechlich, eine Virtuosin auf dem Klavier, hingebungsvoll der Musik verhaftet, die „Zuckungen des Vulkans“ ignoriert sie. In ihrer stillen poetischen Schönheit siecht sie dahin. Sontag verarbeitet hier ihren Essay über „Illness as Metaphor“ (1977), in dem es heißt: „Es ist ein Weg, sich von der Welt zurückzuziehen, ohne für diese Entscheidung die Verantwortung übernehmen zu müssen.“ (Übrigens auch ein faszinierendes Buch.)

Ganz anders Emma, eine historische Person, die in dem Buch nur die „Frau des Cavaliere“ genannt wird. Sie gilt als die Schönste ihrer Zeit. „Sie will kein Opfer sein. Sie war kein Opfer“, lässt Sontag sie sagen. Mühelos und leidenschaftlich schlüpft sie in die unterschiedlichsten Rollen, will gefallen und gefällt. „Ich habe geschmeichelt, ja. Aber man hat auch mir geschmeichelt.“ Sie übernimmt die Rolle der Schauspielerin, die ihr als Frau in der damaligen Zeit eine gewisse Unabhängigkeit ermöglicht. „Mögen wir sie“, frage ich Angela.

Emma Hamiton (1761 – 1815) gemalt von George Romney

Sie ist die Liebende, die „Schwärmerin“, die das Schicksal zu Lord Nelson geführt hat, dem Helden. In knappen Nebensätzen beschädigt die Autorin jedoch bissig das markelose Bild, bezeichnet sie als „fett“ mit fliehendem Kinn. Solche Bemerkungen reißen uns aus der ansonsten positiven Betrachtung. Die eine Frau schwindet, die andere wird immer Matronen-mächtiger. Die gnadenlose Abrechnung findet am Ende des Romans statt.

Und genau dort, ohne dass wir den Schluss verraten, taucht die dritte wichtige Frauenfigur auf: Eleonora. Ihr sind die letzten Sätze überlassen, und die haben es in sich (Seite 549).

Nicht vorblättern, nicht schummeln. Es ist die geniale Struktur dieses Romans, die uns durch die Wirren des Umbruchs und die Schicksale der Handelnden führt bis die Erzählung eine brutale Gegenwärtigkeit bekommt. Schritt für Schritt, düster und drohend, und doch so überraschend, wie der plötzliche Ausbruch eines Vulkans.

PS: Und der Held, Lord Nelson, der kleine Mann mit dem „abben“ Arm, der Augenklappe, den fehlenden Zähnen. Oh weh, gnadenlos reißt Susan Sontag ihn vom Sockel. Wer dieses Buch gelesen hat, bekommt seine Zweifel, ob man noch bewundernd zu ihm heraufschauen darf, wie er dort auf der Säule am Trafelgar Square in London steht.

Lord Nelson, Die Schlacht von Trafalgar, 1805.

Wir mögen ihn nicht, den Helden. Er macht mich wütend und enttäuscht, trotzdem er ein einfühlsamer Liebhaber ist. Er gehört in dem Hannah Arendt’schen Sinne zu den wahren Bösen. Warum (Pst!) wird nicht verraten.

Susan Sontag, Der Liebhaber des Vulkans, Fischer Taschenbuch.