Vorgestern war der 50. Todestag von Ingeborg Bachmann. Sie starb am 17. Oktober 1973 an den Folgen einer schweren Verbrennung, die sie sich in ihrer römischen Wohnung zugezogen hatte, im Schlaf, eine glimmende Zigarette, Tabletten. Allein der Gedanke daran lässt mich erschaudern. Mit diesen imaginären Bildern im Kopf lese ich Malina, 1971 erschienen, ein „Liebesroman“, wie Joachim Kaiser von der Süddeutschen Zeitung schrieb. Ich teile nicht seine Meinung. Aber was ist es dann?

Ich gehe am Strand spazieren, es ist einsam geworden. An meiner Seite ab-und-an, wenn sie denn aus Genf angefolgen kommt, Madame La Petite oder auch Tütü, meine intellektuelle Sparringspartnerin, die Freundin. Sie hat mir Malina empfohlen. Ich würde mehr verstehen über gewissen Beziehungen, meint sie. Auch hier kommt es anders, ich begreife vielmehr, dass jedes gelungene Miteinander ein wertvoller Schatz ist. Je komplexer wir geistig und seelisch organisiert sind, umso komplizierter wird es, das richtige Umfeld zu entdecken, unsere Menschen-Heimat zu finden, wie Ursula K. Le Guin es nennt. Bis dahin, dass es unmöglich wird, wie für Ingeborg Bachmann und ihr „Ich“ im Roman.

Das Buch ist die Bestandaufnahme einer verzweifelten Suche nach Nähe, nach Liebe, nach Gleichgesonnenen, die das Übermaß im Kopf genauso fühlen und verstehen. Von Anfang an schwingt die Ausweglosigkeit durch ihre entlarvenden wortgewaltigen Sätze, so dass ich das Ende verraten darf:

„Es ist eine sehr alte, eine sehr starke Wand, aus der niemand fallen kann, die niemand aufbrechen kann, aus der nie mehr etwas laut werden kann.

Es war Mord.“

„Ich: Österreichischer Pass, ausgestellt vom Innenministerium … Augen br., Haare bl., geboren in Klagenfurt … wohnhaft Ungarstrasse 6, Wien III.“ Es gibt eine Vergangenheit, der Vater, Nationalsozialist, der sich an ihr vergeht. Keine Chance auf Gegenwart. „Denn Heute ist ein Wort, das nur Selbstmörder verwenden dürften…“ Selbst die Phantasie öffnet sich nicht für eine Zukunft. – Ich ahne, spätestens jetzt steigt Ihr aus. Kann ich zu gut verstehen.

Das Buch habe ich trotzdem nicht zur Seite gelegt, sondern mich gefangennehmen lassen von einer Schriftstellerin, die mehr fühlt, die einsamer ist, die empfindersamer leidet und die all das in Worte fassen kann, um daraus große Literatur zu schaffen. „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, sagt Ingeborg Bachmann in einem Vortrag.

Christiane von Korff, Literaturkritikerin, und ich saßen vor ein paar Tagen beisammen und sprachen über die aktuelle Buchmesse. Als ich Ingeborg Bachmann erwähne, schaut sie mich einen Moment länger an als sonst, als wäre sie überrascht, dass ich so etwas lese. Dann nickt sie stumm, das Leben hat nicht nur eine Ebene.

Wir müssen sorgfältig auf solch fragilen genialen Charaktere wie Ingeborg Bachmann aufpassen, denn sie besitzen etwas Prophetisches, haben den Mut, bedingungslos Grenzen zu ignorieren, hemmungslos zu lieben und zu verbrennen, an dem ängstlichen Kleingeist der Gesellschaft. Es war Mord. Mitten unter uns. – Das Buch gehört zu meinen geheimen Schätzen. Es hilft mir, mich auf meine Überlebensgene zu besinnen.

In diesen Tagen besucht Christiane von Korff die Buchmesse für uns in Roma e Toska gekleidet. Zu ihren Interview-Partnern gehören u.a. Joana Osman, Tochter eines palästinenischen Vaters und einer deutschen Mutter; Terézia Mora, die den deutschen Buchpreis erhält; und Lizzi Doron, die zweite Generation der Holocaust Überlebenden aus Tel Aviv … Mehr davon später.