Wir leben in Hamburg in dieser ungewöhnlichen Straße, die drei Namen besitzt und von der Laeisz-Musikhalle auf der einen Seite, wo sich Roma e Toska befindet, bis zum Groß Neumarkt geht, wo Ralf seine Galerie Feinkunst Krüger hat. Bei uns ist es die Poolstrasse, bei ihm heißt es Kohlhöfen, an seinem Fensterrahmen klebt seit langem „LIEBE“. Uns trennen vielleicht dreihundert Meter. Sehen, ja sehen tun wir uns viel zu wenig.

Es amüsiert mich jedes Mal, wenn ich klingele, Ralf durch den langen Raum eilt und sich gestresst an den Kopf fasst. „Komme ich ungelegen?“, frage ich schon fast routinemäßig. „Ja, nein, zu spät, zu früh und überhaupt, aber komm rein …“ Und dann geht ein Jungs-Lächeln über sein Gesicht, für das ihn ich so gerne mag.

Wie so oft, ist auch diese Ausstellung für mich eine Entdeckung: „Zumba, Zen und Zuckerwatte“ lautet der irritierende Titel, den ich überspringe, um mich gleich auf die Arbeiten einzulassen. Sofort wird klar, was gezeigt wird, spielt mit unseren Realitäten und Sehgewohnheiten. Die Katze von Paul Pretzer besitzt keinen Kopf, und auch bei dem jungen Mann links daneben stimmt so einiges nicht.

Paul Pretzer, Defender, 2021, oil on wood, 43,5 x 31,5 cm, 3.600 €, rechts: Two for one, 2021, oil on wood, 43,5 x 59,3 cm, 5.000 €

Habe ich Zeit, mich einzulassen? – Habe ich, entscheide ich kurzentschlossen! Und auch Ralf scheint plötzlich keine weiteren Termine zu haben. Ich bin begeistert, gefesselt, denke kurz an René Margritte und den Surrealismus. Es entwickelt sich eine Erzählung des Absurden mit einer Malerei, „die das Böse unter dem Guten versteckt“ (Feinkunst Krüger). Am liebten würde ich beide Bilder sofort kaufen. Sie sind ein Paar, ohne als Paar konzipiert zu sein.

Paul Pretzer: links: Steg, 2019, oil on wood, 40 x 29,5 cm, 3.400 €

Hinten im Büro stehen noch weitere Arbeiten von Paul Pretzer, genauso gut. Dem Pferd fehlt ein Auge, und was ist links auf Bild los? Ich könnte stundenlang die auf Holz gemalten Linien und Flächen abstasten.

Thomas Judisch, „Potatoe Poem“, 2022, Netz, Fundstücke, Steine vom Elbstrand Dresden, Version 1+2, je 1.200 Euro

Ralf führt mich ins Untergeschoss, wo Objekte von Thomas Judisch zu sehen sind. Auf dem Sockel liegen zwei Netze mit… Kartoffeln. Ich beuge mich vor und schaue zu den Galeristen hoch. Der lauert. – „Es sind Steine, stimmt’s?!“ – Er grinst und nickt. Ich liebe dieses Spiel. Nichts ist das, was es vorgibt zu sein.

Thomas Judisch, „Verlorenes Schaf “, 2017/22, Kunststoff, ca. 140 -180 cm, Einzelpreis: 4.500 Euro, Zusammen: 28.000 Euro

Wer glaubt Feinkunst Krüger verkauft jetzt schon Weihnachtsbäume, der hat recht. Es gibt sie einzeln und zusammen als Installation. „Verlorenes Schaf“ nennt Thomas Judisch die Arbeit von 2017/22. Der Künstler als Schelm, der Galerist als sein Verbündeter. Man kann es abtun als „verrückt“ oder anfangen nachzudenken und die dazugehörigen Geschichten endlos fortspinnen.

Philipp Grözinger, Searching for turing, 2019, Öl und Acryl auf Leinwand, 145 x 160 cm, 12.200 €

Es geht zurück zur Malerei und zu Philip Grötzinger „Searching for Touring“, 2019. Was bedeutet „Touring“? Reisen, rumfahren. Alle möglichen Assoziationen prasseln auf mich ein. Ein Wahnsinnsbild, vor dem wir wieder eine ganze Weile stehenbleiben.

Wie spät ist es? Ich habe keine Ahnung, wollte doch nur kurz „Hallo“ sagen und beim nächsten Automaten Geld abheben. Diese Wunderwelt zwischen den Säulen am Ende dieser langen Straße ist nur noch bis Samstag (29.10.2022) zu sehen. Meine Empfehlung: Erst zu Roma e Toska und dann einfach ein paar Schritte weitergehen. Feinkunst Krüger, Kohlhöfen 8, Tel. 040-31792158.