Die Bekanntgabe über den Tod des bekanntesten russischen Oppositionellen Alexej Nawalny überschattete meinen Tag. Es gibt diese Nachrichten, die tief reichen, ohne dass man sofort weiß warum. Dahinter steckt eine beängstigende Unbekannte. Was für Wellen wird es schlagen? Gleichzeitig begann gestern die Münchner Sicherheitskonferenz. Die Parallelität ist kein Zufall, sondern ein teuflischer Fingerzeit des kriegswütigen Autokraten Putin.

„Il est plus grand mort que viviant.“

Dieser Satz kommt mir sofort in den Sinn, er mag erfunden sein oder Henri III, König von Frankreich, hat ihn gesagt, nachdem er seinen Widersacher, den Duc de Guise, 1588 umbringen lies: Er ist noch größer im Tod als im Leben.

Die ausführliche Nawalny Dokumentation läuft derzeit auf ARTE und ist auf Youtube bis Ende 2024 verfügbar.

Es gibt viele, wenn auch noch nicht genug, die sich dem russischen Machthaber widersetzen. Sie sind bereit, dafür auf die Straße zu gehen und inhaftiert zu werden. In Nawalny haben sie schon lange ein Vorbild, dass man keine Angst haben darf, für die Freiheit zu kämpfen.

Toska mit Iya Voinich im September 2023 in Verona.

Im Juni 2022 gab es meine ersten gedanklichen Verbindungen, die zu der aktuellen Kollektion Childhood führen sollten: „Hello @countess_bridget I am still in Moscow … I can’t stay here anymore. I am against everything is going on and it’s not safe.“ Die Nachricht kam von Iya Voinich an mich auf Instagram, dann wurde es zu unsicher, auf dieser Plattform weiter zu kommunizieren.

Im Februar 2023 konnte sie in letzter Minute offiziell ausreisen mit zwei Koffern, ihrer neunjährigen Tochter und dem Hund. Alles andere musste sie zurücklassen, die Gelder eingefroren, die Zukunft ungewiss. Ihr erster Mann war schon zuvor geflüchtet, von ihrem zweiten Mann, einem Putin-Getreuen, ließ sie sich gerade scheiden.

Ich wollte eine politische Kollektion machen und folgte der Spur des „Monsters“ Krieg. Wir trafen uns mit Toska, deren Stipendium für Sankt Petersburg aufgrund der Ereignisse gestrichen wurde, in Verona, wo Iya nun lebt. Erstmals lernen wir uns persönlich kennen.

Vor mir sitzt eine kluge, gebildete Frau, studierte Psychologin, Künstlerin, Illustratorin. Ihre Stimme ist weich und warm, sie spricht fließend englisch, mittlerweile auch italienisch. In ihrer Familie gab es während des Zarenreiches Adlige und Revolutionäre, nun ist sie eine davon, die für die Nowaja Gaseta und für den Widerstand Übersetzungen anfertigt.

Sie führt uns in die Bilderwelten ihrer Märchen, die den meinen so vertraut sind. Wir begegnen uns auf einer fabulösen Ebene, das Trennende wird menschlich, das Monster „Krieg“ verschwindet, die Baumwesen und Flusswesen übernehmen und werden zu Verbündeten der Fantasie. Sie zeigen Fluchtwege auf im Licht des Mondes, trösten und behüten …, und sind doch angesichts der aktuellen Situation politisch.

Mit dem Erwerb der Nutzungsrechte für die Bilder konnte ich Iya in dem letzten Halbjahr unterstützen. Irgendwann im Frühjahr werde ich sie und ihre Tochter nach Hamburg einladen und nach Sylt, wenn ihre Illustrationen als meine Blusen, Röcke und Jacken in den Geschäften hängen.

Iya Voinich steht für ein anderes Russland, gemeinsam stehen wir für die Unerschrockenheit der Imagination, in der die Welt beseelt ist. CHILDHOOD.

PS: Soeben lese ich ihre WhatsApp auf den Tod Nawalnys: „We are shocked. We all thought that he’d be our Mandela … So sad now.“