Der Wind peitscht den Regen fast waagerecht entlang der Mauern von St. Severin in Keitum. Außer der Pastorin, die eine eilige Runde mit ihrem Hund macht, ist noch kein Mensch zu sehen. Nur wir, die wir uns vom Sylvester-Essen losgerissen haben, um in der Kirche auf das Geläut des neuen Jahres zu warten.
Es wäre gerade der „friedlichste Ort“ auf der Insel, so beginnt Susanne Zingel ihre Worte an uns, da haben wir schon eine Weile still und in uns gekehrt gesessen, um ein letztes Mal in dem alten Jahres zur Ruhe zu kommen.
Wir hören leise von draußen den Sturm toben, dann ertönt die Musik drinnen in dem Kirchen-„Schiff“, das schon so viele Jahrhunderte den Unwettern getrotzt hat.
„… Nähme ich die Flügel des Morgenrots, ließe ich mich nieder am Ende des Meeres, auch dort würde deine Hand mich leiten und deine Rechte mich ergreifen …“
Es ist der Psam 139, den die Pastorin vorträgt, so sanft und so persönlich, als würde sie ihn nur für mich erzählen, obwohl neben mir und hinter mir noch viele andere sitzen. Unmerklich hatte sich die Kirche gefüllt.
Gestern schrieb ich tröstend einer Freundin, der es nicht gut geht: „Dein geliebtes Meer ist rundherum.“ Ist es nicht das Gleiche wie wir ein paar Sätze zuvor hörten: „Von hinten und von vorn hast du mich umschlossen, hast auf mich deine Hand gelegt.“ Es rührt mich! Das Foto vom Roten Kliff hatte ich ihr dazugeschickt.
Anschließend liest Susanne Zingel aus der Rede von Charlie Chaplin, die er 1959 zu seinem siebzigsten Geburtstag hielt: „Als ich mich selbst zu lieben begann …“ Erst kürzlich erhielt ich einen Brief, indem mir ein wenig verächtlich vorgehalten wurde, warum ich denn erst mit Anfang sechzig verschiedene Dinge in meinem Leben kapieren würde. Ich fühle mich mit Chaplin in bester Gesellschaft. „Gefühle brauchen Zeit“, notierte Christine in unserem Buch.
„Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich verstanden, dass ich immer und bei jeder Gelegenheit, zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin und dass alles, was geschieht, richtig ist, von da an konnte ich ruhig sein. Heute weiß ich, das nennt man VERTRAUEN.“ (Charlie Chaplin)
Und dann läuten irgendwann die Glocken von St. Severin in die gemeinsame Stille hinein.
Ganz am Ende zündet jeder eine Kerze an und legt sie vorne zu dem Kreis. Hinter mir der alte Mann weint, vielleicht hat er in dem nun vergangenen Jahr seine Frau verloren. Am liebsten hätte ich seine Hand ergriffen. Mir kommen auch die Tränen. War klar, würden meine Töchter sagen. Aber es weint sich so schön, wenn man miteinander verbunden ist an einem sicheren Ort.
PS: Danach haben wir noch getanzt … Und das habe ich mir heute morgen in mein Skizzenbuch notiert: Tanzen und loslassen, „surfen auf den Wellen des Lebens“, danke Alex, genauso! Euch allen ein Frohes Neues Jahr!
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