Sie tritt durch die Tür, groß, blond, viel Frau in weißem Kleid mit blauem Mantel, schwarze hochhackige Pumps. Erfrischend, höflich, erwartungsvoll und neugierig. Spontan ist sie für mich nicht leicht einzuordnen. Natürlich habe ich mich belesen: Sandra Quadflieg, 1979 in Bremen geboren, Schauspielstudium in Hamburg, Ehe mit Mirco Quadflieg, dem Enkel des berühmten Schauspielers Will Quadflieg.

Sie führte Regie und war die Sprecherin in vielfach ausgezeichneten Hörbüchern: Gottfried Benn, Hannah Arendt und Mary McCarthy, Christa Wolff und Sarah Kirsch. Große Namen und intellektuelle Schwergewichte.

Noch habe ich jedoch keinen Clou, wer diese Frau ist. Während Carmen und ich die Gäste begrüßen, beobachte ich sie, wir tauschen ein paar Sätze aus, dann stehen wir wieder getrennt voneinander irgendwo.

Leicht fällt es ihr zwischen allen, die sie nicht kennt, mal ein Plausch im Grüppchen, mal ein intensives Zwiegespräch. Die Poolstrasse 30 füllt sich. Sandra ist der Magnet.

Dann quetschen sich alle eng beisammen. Es geht los. Wo beginnen? Jedes Mal ist es für mich eine Herausforderung, ich folge keinem Plan, hasse langatmige Vorstellungen, picke intuitiv etwas heraus.

Sandra versteht den Kaltstart von Null auf Hundert, sofort entwickelt sich etwas Schillerndes, das von innen heraus strahlt, und uns gefangen nimmt. Kein Society-Gehabe, keine Schauspiel-Attitüde. Neben mir sitzt eine Frau, die in allem (!), was sie sagt, authentisch wirkt.

In einem fliegenden Wechsel folgen ernste und heitere Sequenzen, eloquent versteht sie zu witzeln und uns mit ihren Themen aus dem prall gefüllten Alltag nicht nur zu unterhalten, sondern in gewisser Weise auch zu inspirieren.

Nein, Urlaub würde sie nicht mögen, hat sie seit mindestens 20 Jahren schon nicht gehabt, erzählt sie munter. Es gäbe viel zu viel zu tun. Kommt mir bekannt vor. Ich stimme in ihren Frohsinn mit ein.

Die Beschäftigung mit dem Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und der Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Mary McCarthy würde sie „entspannen“. So etwas habe selbst ich noch nicht gesagt, aber ich ahne, was sie meint. Geht es mir doch ähnlich, es schafft einen Kontext des Denkens, ist eine funkensprühende Herausforderung, die Chance, die Parameter für das eigene Sein wieder neu zu justieren.

Sandra Quadflieg hat eine beneidenswert schöne Stimme, mächtig und raumgreifend, warm und nuancenreich. Mit Otto Sander veranstaltete sie eine gemeinsame Leserreihe über „Mein Vater Gottfried Benn“.

Den Briefwechsel zwischen Claire und Yvan Goll „Nichts fehlt – Ausser Dir“ las sie mit Ulrich Tukur, mit Katharina Thalbach Hannah Arendt und Mary McCarthy. Sie führte Regie, recherchierte und schrieb den Kontext, in dem die Briefe entstanden.

Selten hat mir ein Gespräch so viel Spaß bereitet. Was für ein vitaler Wechsel aus Fragen und Antworten, die zu einem Erzählen wurden, in dem es auch privat werden durfte. Mit elf Jahren verlor sie ihren Vater, die unbeschwerte Kindheit war beendet. Sie wollte immer Schauspielerin sein, aber sie ist so viel mehr geworden. Hat die Schattenseiten eingefangen. Wie selbstverständlich verbinden sich Leidenschaft und Profession mit ihren zahlreichen ehrenamtlichen Tätigkeiten.

Sie ist im Vorstand der Benita Quadflieg Stiftung, die sich um Kinder mit Entwicklungsstörung und Traumata kümmert. In kleinen familiären Einheiten leben die Kinder und Jugendlichen im Haus Mignon. Geld wird benötigt für Reisen, für Ausflüge, für Sport…, für all das, was ein Aufwachsen in Normalität braucht.

Zwischendurch unterhalten wir uns über Boxen, wir lachen, über Wünsche, Träume und Visionen, ich als Rednerin von den Vereinten Nationen und sie noch einmal im Angesicht mit ihrem Vater.

Ach, wie reich, fordernd und prall erfüllt kann das Leben sein! Schlafen? Doch, doch, sie würde schlafen wie ein Stein, und dann geht es weiter am nächsten Tag mit vollem Programm.

Unser Abend wird lang, bis über Mitternacht hinaus. Es bleibt ein harter Kern. Wir scherzen, umarmen uns, wir machen ein Selfie und Fotos, tauschen uns aus wie Freundinnen, die sich schon lange kennen oder die es verstehen, das Hier und Jetzt zu inhalieren. Danke Sandra! Und Danke auch Carmen, die den Abend vorbereitet hat.

Benita Quadflieg Stiftung. Spendenkonto HASPA, IBAN DE 86 2005 0550 1001 2296 71