Die Überschrift hätte auch lauten können: „Töchter erklären uns die Welt“, ob wir nun Mütter sind oder nicht. Roma gehört zu jenen, für die das „Schneller, Höher, Weiter“ nicht mehr gilt, und das ist schwer in unsere Köpfe zu bekommen. Was heißt für sie: „Auf eigenen Beinen stehen?“ – Wir haben dafür andere vorgeprägte Bilder als die Generation Y (zwischen 1980 – Ende 1990 Geborene), ausgesprochen englisch „Why“, „Warum“, eine Generation, die hinterfragt und nach neuen Modellen für ein erfülltes Leben sucht.

Sicherlich, Roma ist ungewöhnlich aufgewachsen, zwischen alten Bäumen und Wiesen, in einem Herrenhaus mit 14 Zimmern und anschließend einem Loft ohne Heizung. Natur, Bildung und familiäre Nähe wurden zu wichtigen frühen Erfahrungen.

Ob wir Eltern für sie ehrgeizige akademische Wünsche hatten, ich kann es nicht einmal sagen, ich war einfach zu beschäftigt und ließ es laufen, überließ ihr die Entscheidungen. Sie machte etwas ganz Eigenes daraus.

Nach dem Studium der Philosophie und Kochausbildung in Toulouse lebt sie nun seit einem Jahr auf der Réunion, dieser jüngsten Insel unserer Erde, erst drei Millionen Jahre alt, mit einer noch in vielen Teilen ursprünglichen Natur.

Roma auf La Réunion auf der Terrasse vor ihrem Häuschen.

Mit ihrem Freund Nicolas, einem Franco-Kanadier, bewohnt sie ein kleines schlichtes Wellblechhaus mit einem extra Küchenteil nebenan, einer Terrasse mit Blick auf das Meer, zwei Katzen (Sokrate und Spinoza) und einem zukünftigen Hühnergehege. Ich habe mehrfach berichtet.

Sie wäre Epikurianerin, beginnt sie ihre Erzählung, hört sich an wie eine Sekte, heißt aber nur, den Ideen des großen Naturphilosophen der Antike zu folgen mit der ewigen Suche nach dem wirklichen Glück. Sie erwähnt Spinoza (1632 – 1677), den Vor-Denker der Aufklärung: „Unser Unglück ist es, dass wir die schnelle Befriedung von Jetzt der langfristigen tiefen Zufriedenheit von morgen vorziehen.“

Damit ist der intellektuelle Rahmen gesteckt: „Vom Denken zum Fühlen!“ Wie es William James (1842 – 1910) zusammenfasste, über den Roma ihre Masterarbeit schrieb. Wer braucht den Wertezuwachs, wenn er alles hat?

Ich denke an ihre Geschichte des Philosophen John Locke (1632 – 1704) mit dem Apfelbaum, die Roma mir am Abend zuvor erzählte: Der Baum stand da prächtig gefüllt mit Äpfeln, und jeder nahm sich so viele er brauchte. Dann kam eines Tages ein Mann und pflückte sie alle, es war einfach zu verlockend. Auf die Klagen und Beschwerden der anderen erwiderte er, wo denn das Problem sei, sie könnten doch die Äpfel bei ihm kaufen …

Die Gäste hatten gestern eine Menge Fragen, eine unterschiedliche Erwartung und Neugierde für den Abend. Wo liegt die Insel, wie sieht sie aus, wie erreicht man sie, was ist das touristisch Verlockende, und natürlich wie und was kocht Roma?

Die Réunion ist ein Wanderparadies mit 61 Mikroklimas von der Ostküste zur Westküste mit zwei Vulkanen in ihrem Zentrum. Es gibt keine großen Hotelanlagen, man spricht französisch oder créole, hat Rechtsverkehr und den Euro als Währung. Von Paris aus sind es elf Flugstunden.

Zwischen diesen Fakten schwingt in Romas Vortrag immer wieder diese weiche Melodie von „meine neue Heimat“ mit. Ich beobachte meine Tochter, sie erzählt nicht von der Ferne, sie erzählt von sich.

Ihre Küche bezeichnet sie als „Fusion“. Sie kocht europäisch, vornehmlich französisch, aber mit dem heimischen Zutaten der Réunion. So gibt es u.a. die Königsberger Klopse mit Combava, Ingwer und Saucisse créole, zubereitet in kleinen Lunchboxes für die Freunde und Bekannten.

Es ist ein kleines Business, das langsam wachsen soll, so wie der Garten, den sie neben dem Haus angelegt hat. Auf mein Drängeln erwidert sie beständig: „Lass das Baby erst mal auf die Welt kommen, bevor es laufen lernt.“ Recht hat sie.

Links: Laura Ramirez Barrios, Generalkonsulin Argentinien, Rechts: Natasa Rasevic. Generalkonsulin der Republik Serbien

Irgendwann wird es vielleicht Picknick-Körbe für Wanderer geben und ein Table d’Amis, an dem die Freunde sitzen und essen und sich über die Philosophie unterhalten, vor dem Haus ohne Fensterscheiben für das es keine Schlüssel braucht. Mehr Infos zum Kochen unter Foodiroma.

PS:  Danke Carmen und Euch für die Fotos und den schönen Abend. Nächsten IT’S A DIENSTAG (25.11.2022) wird uns Kat Wulf über das Singen erzählen und was man selbst über die eigene Stimme lernt. Voranmeldung unter: info@romaetoska.de