Nein, heute gibt es kein Foto von mir. Ihr müsst drauf verzichten, die Lady am Strand liegend zu sehen oder eingekuschelt in irgendeine Sofa-Ecke, selbst am Schreibtisch, wie ich ursprünglich vorhatte, lässt sie sich nicht abbilden. Mein Halloween besaß eine zu große Portion böser Geister, die mir das entspannte Lächeln geraubt haben. Ich geh kurz mal Underground.

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Doch zuvor stelle ich Euch, wie verspochen, ein Buch vor, das mich die vergangenen Abende und Nächte begleitet hat: Kerstin Ehmers „Diese Freiheit bedeutet mir alles. Das Leben der Kathleen Scott„, erschienen im Oktober 2023 im Mare Verlag. Es ist ein echter „Turnpager“, wie es heißt, wenn man gierig Seite für Seite verschlingt.

Ausnahmsweise habe ich mal nicht mit dem Bleistift in der Hand gelesen, die Lektüre besticht eher in ihrer Gesamtheit, als in pointierten Sätzen. Wer war diese außergewöhnliche Frau und Künstlerin, die mit 28 Jahren, spät für die damalige Zeit, den Polarforscher Robert Falcon Scott heiratete?

1910, Kathleen Scott zusammen mit ihrem Mann, Robert Falcon Scott (Mitte), den sie auf der Terra Nova bis Neuseeland begleitete.

Wir würden sie heute als „Powerfrau“ bezeichnen, wobei ich gestehen muss, dass ich diesen Begriff hasse. Was bedeutet er schon, besonderes wenn er inflationär eingesetzt wird und damit so gut wie jede in nutzen darf, die morgens aufsteht, viel um die Ohren hat und spät abends müde ins Bett fällt?

Nächtlicher Sylt-Spaziergang bei Vollmond

Kathleen ist das 11. Kind eines angelikanischen Pastors und einer Mutter aus adliger Familie, die krank und erschöpft wenige Jahre später stirbt. Das war sicherlich prägend, genauso wie der Wertekanon von Queen Victoria, die eine Ära und ein Land nachhaltig formte mit Pflichtbewusstsein, Aufopferungsbereitschaft und Prüderie.

Kathleen mit ihrem Sohn Peter, 1912

Die junge Kathleen entwickelt einen vielschichtiger Charakter, unbändig, freiheitsliebend, die eigentliche Abenteurerin, wie viele sie mit ihrem Mann verglichen, der auf der Rückkehr vom Südpol mit seinen Männern elendig im Eis starb.

Robert Falcon Scott und sein letzter Brief an seine Frau bevor er starb. Er ändert die Anrede von „An meine Frau“ in „An meine Witwe, 1912.

Sie lockte und entzog sich gleichzeitig. Staatsmänner, Politiker und Literaten gingen bei ihr ein und aus. Klug war sie, gebildet, eine Bildhauerin, die bei Rodin in Paris in die Schule gegangen war. Sie war erfolgreich, verdiente ihr eigenes Geld, besaß den Mut allein zu reisen, schlief am liebsten unter freiem Himmel. Wäre sie ein Mann gewesen, vielleicht wäre sie Prime Minister geworden. Und doch fügte sie sich in die traditionellen Vorgaben der Ehe, votierte gegen das Wahlrecht für Frauen.

Kathleen, 1912 nchdem sie vom Scotts Tod erfahren hat.

Ich lese und stelle sie mir vor, wie unerschrocken sie permanent im Einsatz war, ebenso wie viele andere namenlose Frauen der Zeit oder jene, deren Namen wir kennen wie Gertrud Bell, Amelia Earhart, Isabelle Eberhardt. Meine Freundin Angela schreibt über ihre Urgroßmutter, eine wichtige Person hinter der Reichsregierung vor und nach 1913. In diese Regie gehört auch die Mutter meines Mannes, Barbara Gräfin Tyszkiewicz, fünfzig Jahre vor mir am gleichen Tag geboren. Und mit ihr all die stummen Heldinnen der Kriegs- und Nachkriegszeit.

Kathleen Scott, 1934. Sie ist erschöpft und notiert: „genug, genug!“ in ihr Tagebuch

Wie Kathleen Scott reüssierte, wissen wir dank der sorgfältigen Aufarbeitung von Kerstin Ehmer. Aber wo ist sie gescheitert? Und darf man das überhaupt so nennen? Die letzte Seite ist gelesen, es folgen am Ende Fotos von ihr. Die einst außergewöhnliche Schönheit zeigt harte Spuren im Gesicht, da ist sie fünfzig. Sie verraten eine Bitterkeit und eine Ermüdung. „Genug, Genug!“ notiert sie in ihrem Tagebuch.

Kathleen Scott war zu ihrer Zeit eine erfolgreiche Bildhauerin, das Foto entstand 1939

Kathleen Scott suchte fortwährend die Bewunderung der Männer, es wurde beinahe zur Obsession. Was ihr fehlte, war ein Selbstverständnis für das Weiblich-Sinnliche und, dass in der Schwäche eine Größe liegt. Vielleicht war die Zeit noch nicht reif dafür, und so blieb sie eine große Viktorianerin, trotz der Freiheiten, die sie sich nahm. Lesenswert!