Wie viele verschiedene Beiträge habe ich schon zum Muttertag geschrieben, über meine Mutter, über mich selbst als Mutter, die Freundinnen als Mütter … Es wird Zeit, den Rahmen deutlich zu erweitern. Für viele war und ist das Muttersein nicht das richtige Modell gewesen, oder es hat sich nicht ergeben, es fehlte der passende Partner, der richtige Zeitpunkt. Sprechen wir damit lieber über uns Frauen mit engen und tiefen Verbindungen zu Kindern und jungen Erwachsenen, ob die leiblichen oder die fremden. Mindestens zwei Jungs habe ich in meinem Herzen adoptiert und mindestens drei Mädchen. Und meine Töchter haben wieder andere „adoptiert“ …
Dabei fällt mir die Fuchsgeschichte aus „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry ein, die schönste von allen, wie ich finde. Sie lässt sich immer wieder neu lesen, mit dem „Aprivoiser“, dem Sich-miteinander-vertraut-machen. Das müssen wir als leibliche Mütter genauso wie als angenommene Mütter, und überhaupt gilt das für alle Menschen zueinander:
© 1950 und 2014 Karl Rauch Verlag
»Komm und spiel mit mir«, schlug der kleine Prinz vor. »Ich bin so traurig …« – »Ich kann nicht mit dir spielen«, sagte der Fuchs. »Ich bin nicht gezähmt.« – »Ah! Verzeihung«, sagte der kleine Prinz. Nachdem er kurz überlegt hatte, fügte er hinzu: »Was bedeutet ›zähmen‹?« – »Du bist nicht von hier«, sagte der Fuchs, »was führt dich her?« – »Ich suche die Menschen«, sagte der kleine Prinz. «Was bedeutet ›zähmen‹?«– »Die Menschen«, sagte der Fuchs, »sie haben Waffen und sie jagen. Das ist ärgerlich! Sie halten sich auch Hühner. Das ist ihr einziges Interesse. Suchst du Hühner?« – »Nein«, sagte der kleine Prinz. »Ich suche Freunde. Was bedeutet ›zähmen‹?« – »Das wird oft ganz vernachlässigt«, sagte der Fuchs. »Es bedeutet ›sich vertraut miteinander machen‹.«
»Vertraut machen?«
»Natürlich«, sagte der Fuchs. »Du bist für mich nur ein kleiner Junge, ein kleiner Junge wie hunderttausend andere auch. Ich brauche dich nicht. Und du brauchst mich auch nicht. Ich bin für dich ein Fuchs unter Hundertausenden von Füchsen. Aber wenn du mich zähmst, dann werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzigartig sein. Und ich werde für dich einzigartig sein in der ganzen Welt …«
»Ich verstehe allmählich«, sagte der kleine Prinz. »Da gibt es eine Blume … ich glaube, sie hat mich gezähmt …«– »Das ist gut möglich«, sagte der Fuchs. »Auf der Erde entdecken wir alle möglichen Dinge …«– »Oh! Das ist nicht auf der Erde«, sagte der kleine Prinz. – Der Fuchs schien fasziniert davon: »Auf einem anderen Planeten?«– »Ja, genau.«– »Gibt es Jäger auf diesem Planeten?«– »Nein.«– »Das ist interessant! Und Hühner?«– »Nein.«– »Nichts ist perfekt«, seufzte der Fuchs.– Aber er kam auf seine vorherige Idee zurück:
»Mein Leben ist eintönig. Ich jage Hühner, die Menschen jagen mich. Alle Hühner gleichen einander und alle Menschen sind gleich. Das langweilt mich ein wenig. Aber wenn du mich zähmst, wird mein Leben heiter wie die Sonne sein. Ich werde den Klang deiner Schritte von den anderen unterscheiden lernen. Alle anderen Schritte jagen mich in meinen Bau. Deine Schritte werden mich wie Musik aus meinem Bau herauslocken. Und dann schau! Siehst du dort die Weizenfelder? Ich esse kein Brot. Weizen ist für mich ohne Nutzen. Die Weizenfelder erinnern mich an nichts. Und das ist traurig! Aber du hast goldene Haare. Wie wunderbar es sein wird, wenn du mich gezähmt hast! Der goldene Weizen wird mich an dich erinnern. Und ich werde das Brausen des Windes durch den Weizen lieben …«
Da verstummte der Fuchs und schaute den kleinen Prinzen lange an: »Bitte … zähme mich!«, sage er. – »Das würde ich gern tun«, antwortete der kleine Prinz, »aber ich habe nicht viel Zeit. Ich muss Freunde finden und viele Dinge lernen.«– »Man versteht nur die Dinge, die man zähmt«, sagte der Fuchs. »Die Menschen haben keine Zeit mehr, um etwas kennen zu lernen. Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Da es aber keine Läden für Freunde gibt, haben die Menschen keine Freunde mehr. Wenn du einen Freund willst, dann zähme mich!«
»Was muss ich machen?«, sagte der kleine Prinz. – »Du musst sehr geduldig sein«, antwortete der Fuchs. »Du wirst dich zunächst mit einem kleinen Abstand zu mir in das Gras setzen. Ich werde dich aus den Augenwinkeln aus anschauen und du wirst schweigen. Sprache ist eine große Quelle für Missverständnisse. Aber jeden Tag setzt du dich ein wenig näher …«
Abb.: Roma als Baby, August 1994.
Meine Tochter Roma und ich sprechen oft über diese Passage in dem Buch. Wir haben uns miteinander vertraut gemacht und hören hoffentlich nie damit auf. Als sie auf die Welt kam, war sie mir nah und unbekannt zugleich. Ich war unerfahren und keineswegs eine perfekte Mutter (das gilt bis heute). Aber wir hören einander zu und versuchen uns zwischen den Worten und Umarmungen zu entdecken. Vor ein paar Tagen ging wir am Watt entlang, und Roma erzählte mir eine weitere Passage aus der Fuchsgeschichte, die ich schon vergessen hatte:
Am nächsten Tag kam der kleine Prinz wieder.
»Es wäre besser gewesen, wenn du zur gleichen Zeit gekommen wärest«, sagte der Fuchs. »Wenn du zum Beispiel um vier Uhr am Nachmittag kommst, dann kann ich schon um drei Uhr beginnen, glücklich zu sein. Je mehr die Zeit voranschreitet, umso glücklicher werde ich. Um vier werde ich mich schon aufregen und beunruhigen; dann entdecke ich den Preis des Glücks! Aber wenn du zu irgendeiner Zeit kommst, werde ich nie wissen, wann mein Herz bei dir sein soll (…)«
So also wurde der kleine Prinz mit dem Fuchs vertraut. Und als die Stunde des Abschieds nahe war: »Ach«, sagte der Fuchs. »Ich muss weinen.« – »Du bist selbst daran schuld«, sagte der kleine Prinz, »ich wünsche mir nicht, dass es dir schlecht geht, aber du wolltest von mir, dass ich dich zähme …« – »So ist es«, sagte der Fuchs. – »Aber nun musst du weinen!«, sagte der kleine Prinz. – »So ist es«, sagte der Fuchs. – »So hast du nichts gewonnen!« – »Ich habe die Farbe des Weizens gewonnen«, sagte der Fuchs.
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