Eines wird schnell klar, schon nach wenigen Seiten: Ich möchte so sein wie Caroline Böhmer oder besser bekannt als Caroline Schlegel-Schelling (1763 – 1809). Eine unangepasste, eigenwillige, hochgebildete, vielfach talentierte Frau, die niemals akademisch auftrat, die die tiefgründigen Inhalte mit einer Leichtigkeit vortrug, die von den führenden Männern ihrer Zeit verehrt und geliebt wurde. Das ist schon mal eine Ansage und eine Messlatte für das eigene Ich.

Und auch darum und im Besonderen geht es in dem faszinierenden neuen Buch von Andrea Wulf. Schon mit Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur war ihr ein großartiger Wurf gelungen, die Historie in komplexe Zusammenhänge zu stellen und trotzdem eine spannende Lektüre zu schreiben. Nun dies: Die Fabelhaften Rebellen. Die frühen Romantiker und die Erfindung des Ich, 2022 in London erschienen.

Trotz etwas kränkelig zurückgekehrt von meinen Reisen, schlage ich mir wieder die Nächte um die Ohren, blättere eine Seite nach der anderen um und entdecke meine schemenhaften Helden des ausgehenden 18. Jahrhunderts neu: Johann Gottlieb Fichte, der „Bonaparte der Philosophie“, Novalis, die Brüder August Wilhelm und Friedrich Schelling, Schiller, Wilhelm und Alexander von Humboldt und natürlich der ältere Goethe.

Stadtplan von Jena, Ende 18. Jahrhundert

Sie treffen sich alle, zufällig oder nicht, an einem Ort in Deutschland, Jena im Herzogtum Sachsen-Weimar. So eine intellektuelle Dichte hat es kaum wieder gegeben, und von hier aus startet die zweite Revolution nach der Französischen, die des Geistes, die das Ich zum Ausgangspunkt ihres Denkens erklärt und der lebendige Beweis ist für die Macht der Philosphie. Verstehe ich mich, lerne ich die Welt verstehen.

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Die jungen Studenten sind davon elektrisiert. In Fichtes Hörsaal drängen sich über 400 Zuhörer, die Hälfte aller Eingeschriebenen an der Universität von Jena. Er ist der Superstar. Wer hätte das geahnt, ein eloquenter stürmischer Erzähler, der sich in dem Schreiben so schwer tat.

Dazu Novalis, dieser schöne Mann mit den großen Augen und glatt zurückgekämmten Haaren, sowie der aufbrausende Friedrich Schlegel: „Sie wollten hin- und herschauen, bis ihnen schwindlig war.“ Das will ich auch, genauso wie die eine Frau zwischen ihnen, die mehr als auf Augenhöhe war, die oftmals die Texte im Namen der Männer schrieb, die dafür später berühmt wurden: Caroline Schlegel-Schelling. „Ich bin durch sie beßer geworden“, bekannte Friedrich Schlegel, heimlich verliebt in sie, die Gattin seines älteren Bruders.

Auf den Seiten sind unzählige Anmerkungen von mir, unterstrichene Sätze und eingekreiste Begriffe, wie der der Freiheit, der immer wieder auftaucht.

„Wir sind insofern frei, als wir auch anders handeln können.“ (Fichte)

Die frühen Romantiker von Jena waren es, die dieses Selbst-Bewusstsein in die Welt trugen.