Was wir sehen, ist nicht das Testbild des Fernsehers, wenn das Programm in der Nacht zu Ende ist. Ich glaube, so etwas gibt es längst nicht mehr. Es wird geguckt oder gestreamt, rund um die Uhr im somnambulen Sog der parallelen Welten. Stattdessen hat der Titel etwas mit Mode zu tun und gleichzeitig um sehr viel mehr, denn es handelt sich bei dem Foto um einen Ausschnitt aus den Herbst-Winter 2023/24 Trendfarben: Comforting Grey, Dripping Wax, Green Clay, Mélasse, Fermented Mastic oder Craft&Art. Ich hatte schon über die Disruptive Darks geschrieben. Nun der Blick auf das Ganze.
Eine Weile grübele ich über das Begriffspaar, das sich diskret in die obere Ecke der großzügigen Doppelseite (ver-)drückt: CADENCE & DECADENCE. Was mag damit gemeint sein? Google will dieses Gegenüber nicht annehmen als Einheit. Ist es „Gesang & Abgesang“, der Rhythmus und sein Verfall? Die Zeiten sind schwierig genug, um solch ein zerrissenes Duo zu erlauben.
Was meint die berühmte Trendforscherin Li Edelkort zum bevorstehenden Herbst-Winter: Sie geht zurück in die Archäologie und in die Ur- und Frühgeschichte. Eine Haltung, die wir schon zuvor mit dem Muscheln-Thema aufgegriffen haben. Mit Hilfe der Rückbesinnung, versucht sie weiterhin den Menschen als Hoffnungsträger zu verteidigen, er sei erfinderisch im Handwerken, im Nahrung beschaffen, also auch im Überleben.
Bei ihr klingt es, als würde das Kontinuum Homo Sapiens über Millionen von Jahren in der Lage sein, die Zukunft zu sichern und zu defnieren. Die Gegenwart würde sie dabei gern ausklammmern, „since true keys of greatness lie in both in our past and our future – for now, forgetting the dramatic presence.“ (Li Edelkoort)
Ich weiß nicht so recht, mir ist dabei ein wenig unwohl. Allzu gern würde ich unser ramponiertes Jetzt ein wenig retten, um es hübsch zu machen mit einem „Tender Blue“ oder einem „Gorgeous Red“ und nehme noch das „Elegant Night Green“ zur Hilfe.
Wenn wir nicht aus dem Vollen unserer zweifelnden bejahenden Gegenwart heraus leben, dann gelingt uns vielleicht der Blick zurück, aber es fehlt gewiss die Energie für das Handeln nach vorne.
Auf in einen erdigen, warm und dunkel, zart leuchtend farbenfrohen Herbst.
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