Wenn Geschichte lebendig wird! Es machte diesem Abend im Garten vor dem Kapitänshaus so besonders. Dabei spielte vieles mit, der warme Spätsommer Wind, die Gäste im Strandkorb, auf Stühlen und Sesseln um uns herum. Jemand hatte einen Kuchen gebacken, eine andere ein Curry Pesto mitgebracht, mein Mann das Brot. Es war ein Kampen auf Sylt wie früher mit Literaten und Verlegern, kein Society Schickimicki.

Und dann erzählte Angela Hartwig über das Leben ihrer Urgroßmutter Lina Richter, dem Pelikan. Und plötzlich waren wir inmitten des Zeitgeschehens, in den Wirren am Ende des 1. Weltkrieges.

Ich habe Angela über die vergangenen drei Jahre beobachtet und ein wenig begleiten dürfen, während sie sich in ihren Recherchen in das Leben dieser außergewöhnlichen Frau Stück für Stück hineindachte. Sorgfältig folgte sie als Journalistin den Verästelungen der komplexen Historie. Es hat sie verändert, spätestens an dem gestrigen Abend konnte man es sehen.

Ruhig und selbstbewusst schildert sie das Leben der 1872 geborenen Bankiers-Tochter, damals noch Lina Oppenheim, die Stationen von reichem Elternhaus, Ehefrau mit fünf Kindern, politischer Beraterin, Reformpädagin.

Als sie 2021 per Zufall die Spur der Urgroßmutter entdeckte, war es eine Entdeckungsreise hin zu einer Unbekannten. Jetzt hat sich eine Verwandtschaftslinie aufgebaut und ein Gefühl von stolzer Zugehörigkeit.

Während sie erzählt, sehen wir vor uns die Auflösung des Deutschen Reiches, die Panik in den Regierungszimmern im November 1918. Prinz Max von Baden, der letzte Reichskanzler, rennt mit der Pistole an der Schläfe durch die Korridore und will sich erschießen, der Kaiser ist geflohen. Die Telefon-Leitung nach Spa ist besetzt oder unterbrochen. Gibt es eine Revolution von unten oder von oben? Schießen gar Deutsche auf Deutsche. Jede Minute zählt. Wer verfasst die Kapitulationserklärung? War es vielleicht Lina Richter? Es öffnet sich die Tür einen Spalt weit für Spekulationen, die Angela jedoch sorgfältig in ihrem Buch vermieden hat.

Angela Hartwig, Der Pelikan. Das Leben der Lina Richter, Vergangenheitsverlag, 2024 (€ 20)

Nun ist es in der Welt: Lina Richter gehört nicht mehr zu den Frauen, über die die Geschichtsschreibung hinweggegangen ist, dank Angela Hartwig und dem Vergangenheitsverlag aus Berlin. Bescheiden und strahlend sitzt die Autorin am Tisch und signiert und plaudert. Was für einer schöner würdiger Abschluss eines langen Sommers auf der Insel.

Am 17.9.2024 werden wir in unserem Hamburger It’s a Dienstag Salon das Buch erneut präsentieren und feiern. (ab ca. 17:30, Voranmeldung unter: info@romaetoska.de). Wer dieses Wochenende online bestellt, erhält es als Geschenk.