Mein Vater sagte immer, das Denken muss man den Pferden überlassen, die haben einen größeren Kopf. Und so wurde, wenn ich mal gehässig sein darf, bei uns zuhause nicht nachgedacht, jedenfalls nicht viel. Man ließ es laufen, änderen konnte man eh nichts, meinte man. Besser man stopfte sich zu mit Alltäglichkeiten, verdrängte, wartete ab, wird schon werden.

Dieses Jahr hatte es in sich, und dass mit dem Aussitzen, wollte auch nicht so recht gelingen, jedenfalls nicht für uns unruhigen, fragenden und kritischen Geister. DENKEN HILFT! Es wurde zu meinem Motto in diesen Monaten.

Wie die meisten bin ich taumelnd und überrumpelt durch das erste Quartal 2022 geschlingert. Werden die Russen die Ukraine angreifen oder nicht? Nein, werden sie nicht. Und dann doch, am 24. Februar.

Wir verschenken T-Shirts, die an das Hemd von Präsident Selensky erinnerten. „Jeder Mensch ist sein eigenes Land“. Vielen Dank an alle, die sich an dieser Aktion beteiligt haben: Statement gegen den Krieg. Es wurde kein von Putin erhoffter „Blitzkrieg“, die Staatengemeinschaft schaute diesmal nicht weg.

Aber wohin es führen wird, ist ungewiss. Bislang zählt die UN 18.000 getötete oder verwundete Zivilisten in der Ukraine. Über 100 (!) Millionen sind nicht nur im Osten, sondern weltweit auf der Flucht.

Der Bundeskanzler spricht von „Zeitenwende“, und dieser Begriff wird zum soeben frisch gekührten Wort des Jahres 2022. Nichts wird mehr so sein wie zuvor. Aber darin sind wir doch schon trainiert, jedenfalls einige von uns, denn Corona hat gelehrt: so wie es mal war, wird es nicht mehr sein. – Und nun? DENKEN HILFT.

Mein Flug war schon eine Weile gebucht, am 2. März ging es los: Hamburg – Paris und weiter auf die Réunion, ins Paradies, zugehörig zu Frankreich, aber weit entfernt vom Kriegsgeschehen. Meine Tochter Roma lebt mit ihrem Freund seit ein paar Monaten dort.

Wärme, Sonne, eine faszinierende ursprüngliche Landschaft, stundenlange Wanderungen, und plötzlich begann ich intensiv in Parallelen zu denken, machte mich empfindsam für mich und alles um mich herum. So entstehen kreative Prozesse, wird das Leben neu befragt und hinterfragt.

Nach kaum drei Wochen kehrte ich verändert zurück, ohne Antworten mit mir in einer Zeit mit drängenden Fragen. Ich lag oben im Tempel in der Poolstrasse und dachte nach, ich verharrte oft stundenlang regungslos am Schreibtisch, blickte aus dem Zimmer und dachte weiter nach.

Ich las Rachel Carson, The Silent Spring, 1962 (Der Stumme Frühling), entdeckte für mich den französischen Philosophen Bruno Latour. Es ging kreuz und quer durch die Themen, ohne System. Was mir in die Hände fiel, das verschlang ich sofort.

Als Sommerlektüre empfahl ich Bernard Williams „Wahrheit und Wahrhaftigkeit“. Schwere Kost, aber es wurde eines der meistangeklickten Suchbegriffe im Blog.

Ich konsumierte eine Lektüre nach der nächsten, als müsste ich unendlich viel Wissen nachholen (musste ich), mein Denken verändern, mehr verstehen, was sich hinter dem Klimawandel alles verbirgt, wie unsere Zukunft gedacht werden kann.

Neben all den üblichen Aufgaben kam ich mir vor wie eine Studierende in der Bibliothek zwischen den Folianten und dem Geruch von Jahrhunderten. Und dazwischen starrte ich wieder aus dem Fenster, als müsste mein Inneres alles verdauen, während ich mich in einem wabernden Nichts auflöste.

Die Welt bewegt sich, und ich fühle mich mittendrin. Was noch kommt, dass weiß ich nicht. Die Experten sprechen von der Notwendigkeit einer neuen Aufklärung, einem radikalen Umdenken. Ich bin dabei, hake mich bei Euch unter mit der ansteckenden Freude, die Dinge begreifen zu wollen, um sie zu verändern.

Das war mein 2022. Begegnen wir der Zeitenwende mit unserem freien assoziativen Denken. Das hilft! Und gemeinsam geht es noch besser.