Wie soll man dieses Jahr 2022 beschreiben, zuviel ist passiert, unmerklich oder mit einem Paukenschlag. Die Mode, die sonst immer die Trends aufzeigt, erklärt, was läuft, mindestens einen Schritt vorweg ist, konnte diese Aufgabe international nur schwer erfüllen. Designer verzettelte sich in Effekten, nichtssagenden Slogans und überflüssigen Provokationen. Mühlselig versuchten große Labels ihre Rehabilitierung von Green Washing.

Wie so oft habe ich versucht, auf meine Weise in die Zeit hineinzuhorchen. Anfang Februar hatte ich zur Premier Vision Stoffmesse die Muscheln aus dem graphischen Werk von Alexander von Humboldt im Gepäck. Dazu kam das eindringliche Gespräch mit Toska im Café in Paris, in dem sie den kreativen Neuanfang von mir forderte.

Wieder so ein Kraftakt, wieder mich häuten, nachdenken, tief einsteigen in den Schaffensprozess, wo doch alles eher auf Stillstand und Retro ausgerichtet war. Ist Corono nun vorbei? Nein, wir lernen gerade erst das Dasein als eine sich überlappende Abfolge von Krisen zu begreifen. Kein Anfang und Ende, wir stecken einfach mittendrin. “Muscheln fühlen” ist mein Versuch einer Antwort.

Die Kollektion mit den XXL Muscheln und den leuchtenden Farben von Pink und Rot löst “Bonnard und das Stillleben” ab, ebenfalls wichtig mit der Innenschau, der Stille, dem Rückzug, dem Ausblick in die Ferne durch Fenster und Bilder.

Langsam schleiche mich aus einer Edition in die nächste hinein. Alles existiert nebeneinander, mischt sich in den Outfits. Ich habe es gern so. Wer will noch in Saisonen unterscheiden. Die Möglichkeiten bleiben eingeschränkt, Lieferketten kompliziert, aber ich konnte immer schon besser aus dem “zu wenig” heraus denken.

Schon jetzt weiß ich, dass “Muscheln fühlen” wichtig für mich ist mit seiner Metaphorik, und hoffentlich wird es genauso für Euch sein. Dahinter steht die große Idee von vernetztem Denken und Leben, von Einssein mit der Natur und mit sich selbst. Nicht so einfach in unserer Zeit.

Diese und ähnliche Gedanken werden jedoch zu einer tröstenden Klammer in diesem Jahr mit dem Verstörenden und Beängstigenden um uns herum. Beinahe überrascht es mich dabei, wie viele Fotos ich finde mit lachenden Ge­sichtern, gemeinsam am Strand, die Freundinnen im Arm, von Events mit Gästen, die sich freuen, das Erlebte miteinander zu teilen.

Es war auch ein Jahr mit neuen Kooperationen, die mich unglaublich inspirierten. Danke Dir Anna für die Sweatshirts, die Kite-Westen, die Taschen und unser sponantes herzliches Miteinander. Danke auch Leanna (by-told), dass wir Deine Cashmere-Schals zeigen durften. Ich bin gespannt, wie es mit Sophie und ihren recycelten Entwürfen weitergeht. Auch hier öffnet sich eine neue Tür mit Möglichkeiten.

Wie Toska es im Februar 2022 forderte, habe ich mich aufgerafft für einen Wandel. Ende ungewiss. Es befreit mich, es gibt mir eine Lässigkeit, die Dinge auf mich zukommen zu lassen, um sie dann zu gestalten. Mode ist eines meiner Mittel, der Welt zu begegnen, das Schreiben ist das andere, und Ihr gehört ganz fest dazu!

PS: In diesen Tagen gibt es immer wieder letzte Teile reduziert aus den wichtigen Editionen 2021/22. (Titelbild: Dorothea Lang, Muscheln in der Hand.)