Es heißt in meinem Sprachgebrauch nicht ein Bleistift, also irgendein Bleistift, sondern der Bleistift, mein Bleistift. Ein ganz bestimmter muss es sein, der von Graf von Faber Castell, HB2 aus hellbraunem geriffelten Holz mit der silberner Kuppe, verpackt zu sechst in einer kleinen festen Papp-Schlachtel. Ginge auch ein anderer der gleichen Stärke (?!), werde ich mitfühltend gefragt. – Nein! Weiß doch jedes Kind, es kann nur dieser eine sein.

Mein Vorrat (ein Stummel und zwei Angespitzte) reicht noch für geschätzte sechs Monate, dann tritt der Notstand ein, denn der Fabrikant hat Besagten aus seinem Sortiment genommen (ohne mich vorher zu fragen). Wie so oft, wird das, was schön und richtig ist, aussortiert zugunsten des Zweitbesseren.

Ich kann aber nur mit diesem einen meine Kollektion skizzieren, Notizen verfassen und Anmerkungen in Bücher schreiben. Überhaupt ist es mir nicht möglich, anspruchsolle Literatur zu lesen, ohne meinen Bleistift in der linken Hand zu halten. Er schafft mir die notwendige Konzentration für die schwierigen Sätze.

Geschwind kreise ich Wörter ein, setze ein Ausrufezeichen an den Rand oder eine Wellenlinie, ein Fragezeichen oder unterstreiche ganze Passagen. Mit diesen Hinweisen finde ich später sofort, wonach ich suche, und merke mir die Stichpunkte. Habe ich den Bleistift nicht bei mir, lese ich nicht! So einfach ist das. Es bestehen subtile analoge kausale Zusammenhänge und Abhängigkeiten.

Sogar mein Doktorvater empfahl mir, die Dissertation doch mit dem Bleistift zu schreiben. Er irrte, der Bleistift funktioniert nicht immer, denn es werden ihm von mir ganz spezifische Funktionen zugewiesen. Er wird ausschließlich für Zeichnungen, Gedanken-Notizen und Markierungen verwendet, keineswegs eignet er sich für einen Fließtext, da greife ich lieber in die Tasten des Computers.

Normalerweise klemmt der Bleifstift hinter meinem Ohr, zwischen den Haaren. Aber da ich nur noch drei umgangssprachlich „Bleier“ besitze (man könnte von Schätzen sprechen) und der Nachschub abgekappt ist, gestaltet sich dieser Ort als viel zu gefährlich. Bei einem protestierenden Kopfschütteln (passiert oft) oder einer fahrigen Geste mit der Hand durch die Mähne (ebenso oft) könnte er unwiederbringlich verlorengehen …

… Und dann? Bridget im geistigen Leerlauf, Lektürestau und Ausnahmezustand. Wer noch ein Depot mit genau diesem Modell findet, den erwartet ein Finderlohn, ein Tüchlein mit dem Stillleben des Impressionisten Pierre Bonnard, der sicherlich auch seinen Lieblingsbleistift besaß.