Die Idee kam uns gestern Abend, sprechen wir über Hannah Arendt (1906 – 1975) und die Pflicht zum Ungehorsam. Meine Tochter Roma (27) hat darüber schon mehrfach bei uns einen Vortrag gehalten, und gerade die letzten Tage und Wochen verlangen einen differenzierten Umgang mit dieser Forderung.

Der Ort für unsere Unterhaltung: Der Frühstückstisch von Romas „Bungalow“ mit Blick über das Meer von Saint Leu (La Réunion). Es gibt kein Paradies ohne Gedanken an die Menschen 8.000 Kilometer entfernt in der Ukraine.

Roma beginnt gleich mit einem Kernsatz von Hannah Arendt, der uns begleiten sollte:

„Das Böse kann immer anders.“

Es gibt eine Unterscheidung zwischen dem „Können“, dem „Wollen“, dem „Wollen können“ und dem „Können wollen“. Nähern wir uns dem, was dahinter steckt.

Arendt spricht dann von dem „Schuldigen“, wenn er agieren könnte, sich jedoch entscheidet, es nicht zu tun. Die Gründe hierfür mögen vielfältig sein, Bequemlichkeit, Ignoranz, Oportunismus, Egoismus, Machtwille … Er „könnte“, aber er will nicht.

Nicht-Schuldig im Sinne von Hannah Arendt sind jene, die unfrei sind, denn würden sie aufbegehren, hätten sie massive Gefährdungen ihres Lebens zu früchten bis hin zum Tod. Für diese Menschen ist es ein Wollen, aber nicht können.

Wie frei sind wir oder wie unfrei? Wie mutig sind wir? Nicht jeder ist zum Helden geboren. Wie verhält sich der Vater oder die Mutter einer mehrköpfigen Familie? Wie verhält sich der Künstler, die Künstlerin, die ausschließlich für ihre Kunst leben. Dürfen andere für uns entscheiden, wie wir uns zu verhalten haben? Das sind alles Fragen, mit denen wir sensibel umgehen müssen.

Roma beschäftigt konkret der Fall Guide Michelin, der soeben drohte, den russischen Sterneköchen ihre Sterne abzuerkennen, würden sie sich nicht eindeutig gegen Putin und den Krieg erklären. Es klingt leicht und schlüssig aus unserer Perspektive. Aber was wären die Konsequenzen, wenn sich ein Ausnahme-Koch oder Köchin entscheidet, sich gegen die Regierung aufzulehnen? Verlust des Restaurants, Repressalien gegen sie und die Familie, Gefängnis? Wissen wir das?

Hannah Arendt zeigt viele Möglichkeiten auf, um kundzutun: „Nicht in meinem Namen“. Wir im Westen in unseren Demokratien sollten unterstützen und motivieren, statt überheblich zu fordern und es kategorisch zu erzwingen.

Je mehr Menschen nicht mehr „funktionieren“ in einem Staat, umso weniger funktioniert dieser Staat. Schaffen wir Bedingungen, die eine Pficht zum Ungehorsam leichter möglich machen.