… und ich könnte ergänzen: und dazu die Lust auf das Leben. Es fühlt sich an, als hätten wir gerade erst davon erzählt, Karen und ich, beim letzte Lunch vor ein paar Tagen. Ganz richtig, da ging es um den Genter Altar und Jan von Eyck. Nun ist es David Hockney (*1937), und es wundert uns überhaupt nicht, dass dieser zweitteuerste lebende Künstler der Welt den alten Niederländer aus dem 15. Jahrhundert zu seinem „Hausheiligen“ erklärt hat.

Es ist kalt draußen, bitterkalt, aber wir haben es Hockney zu Ehren ein wenig Vorfrühling werden lassen. Für die Dekoration haben die Jungs von Maison F. von nebenan gesorgt. Mir ist es gelungen, den Salat mit Ziegenkäse anbrennen zu lassen, (wie das geh? Man stellt die Teller zum Aufwärmen in den Ofen, dreht auf Volldampf und vergisst das Ganze). Unsere Stimmung ist wie immer erwartungsvoll und bestens.

Karen liest mir den Anfang eines Artikels aus der Rheinischen Post vor, schöner könnte der Auftakt zu unserem Gespräch nicht sein: „Das ist jetzt, da ein Virus die Welt zu erobern versucht, besonders wichtig: dass man nicht vergisst, wie schön es da draußen ist. Und dass es jemanden gibt, der noch einmal zeigt, wie herrlich Natur sein kann und wie toll Menschen sind und Freunde.“ Gemeint ist David Hockney und sein letzter Bildband, den der Autor des Artikels auf Krankenschein empfiehlt, um das Warten auf die Impfung zu verkürzen.

Beginnen wir mit einem der berühmtesten Bilder von David Hockney „Portrait of an Artist“, 1972. Schon hier lehrt uns der Künstler, die Dinge anders zu sehen. Ein Titel, der scheinbar nicht zu dem Gezeigten passt, oder doch? Wir sind aufgefordert genauer zu prüfen, sorgfältig die Oberflächen mit den Augen abzutasten, um dabei zu erkennen, wie das Wasser mal durchscheinend ist für ein Darunter und mal eine Spiegelung für das Darüber.

Die Landschaft dahinter ist komponiert, mit einem altmeisterlichen Aufbau der Perspektive. Sofort denken wir, oder besser denkt Karen, an Caspar David Friedrich und den Wanderer über dem Nebelmeer, 1818. Ich notiere und staune. Wieder entwickeln sich faszinierende Bezüge innerhalb der Kunst.

Der geschrumpfte Salat ist gegessen, das Brot dazu schmeckte hervorragend. Das Gespräch nimmt an Fahrt auf, das nächste Bild von Hockney, „The Bigger Splash“ von 1967.

Wieder geht es um die Perspektive, den Raum, die Form und ihre Auflösung. Natürlich ist Hockney auch ein Geschichtenerzähler, ein Schelm, aber noch wichtiger ist es ihm, uns an die Hand zu nehmen und in seine Welt des Sehens zu entführen. Dafür malt er. Die sogenannte „Verabredung zum Objektiven Sehen“ löst er auf, denn es gibt sie nicht.

Keiner (!) sieht das Gleiche, selbst bei einem so stilisierten Bild wie diesem. (Insgeheim lobe ich mich für unser Tischarrangement, denn es passt so wunderbar alles zusammen, auch diese Ablenkung erweitert die Wahrnehmung … ).

Bauen wir uns mit Hockney eine Welt des Schönen! Das verbindet Karen und mich, wir beide schweifen ab und lassen die Meister der Kunstgeschichte an uns vorbei laufen, van Gogh, Monet und seine Heuhaufen, der Anfang von so vielem, und natürlich Matisse: Luxe, calme et volupté. „Tja, das schafft er!“ So Karen, das Malen, um Freude zu erzeugen.

Und diese Freude hört nie auf. Der mittlerweile über achtzigjährige David Hockney beginnt unablässig von Neuem, indem er sich nun auf ein ganz junges Medium einlässt, das Malen auf dem I-Pad. Es entsteht eine Intensität, so unglaublich kreativ, dass es uns erneut den Blick auf die Welt zeigt, diesmal mit hochmodernen Mitteln. Das Sehen fängt von vorne an.

Beinahe täglich verschickt er an seine Freunde dieses Bild von dem Interieur mit Lampen und der Blumenvase links unten, in der sich jedes Mal eine weitere Blüte entfaltet. Ich halte den Atem, lege den Stift zur Seite, und schaue einfach nur, das Buch, mein Gegenüber, das geöffnete Fenster, ich sehe förmlich den Duft der Hyazinthen und den grünen Becher davor.

Und Karen auf der anderen Seite registriert meine bunte Blumen Hose von Marni und den grünen Pullover und entwickelt eine ganz neue Meisterschaft des fotografischen Sehens.

Schnell ziehe ich mich um, denn die Ruwenzori Bluse mit den royal blauen Karos könnte jetzt auch perfekt zum Bild passen. Das Auge ist sensibilisiert auf die unendlichen Farben und Formen unserer Umgebung. Nun versteht jeder, warum die Kunst und die Natur meine Inspirationsquellen sind.

Kaffee und Kuchen, wir kommen zum letzten Teil unseres Gespräches: Hockney’s Serie „The Arrival of Spring in Woldgate“, East Yorkshire, 2011.

Er malt auf dem i-Pad Wege und Auffahrten, Sträucher, Bäume, Pfeiler und vor allem Pfützen. Ach wie schön können Pfützen sein. Betrachtet man diese Bilder, dann sehnt man sich nach den ersten Frühlingspfützen im Jahr.

Karen möchte endlich reich werden, um sich solch einen Hockney zu leisten, und ich schließe mich ihrem laut ausgesprochenen Wunsch an. Inzwischen müssen uns die Abbildungen genügen, die sich festsetzen aus innere Vokabular des Sehens. Das kann einem niemand nehmen!

Wenn ich reich bin, möchte ich einen fröhlich strahlenden David Hockney mit pinkfarbener Straße, und passend zu den Pfeilern links und rechts (man erinnere das Gleichgewicht im Bild) zieh ich mir zwei verschiedene Gummistiefel an …

… viel mehr brauchen wir nicht zum Glücklich sein, stellen wir beide lachend fest. David Hockney scheint es ähnlich wie uns zu gehen, in bester Tradition mit der englischen Landschaftsmalerei. John Constable (1776 – 1813) hätte es gefallen und Matisse hätte auch applaudiert: Lupe, calme et volupté.

Wie lassen den Mittag ausklingen mit eine paar Gedanken zur Kreativität an der Peripherie. Karen erwähnt Georg Simmel und seinen Aufsatz „Die Peripheren“ Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie denkt an Aby Warburg, dessen Archiv sie betreute, und gemeinsam überlegen wir, wo sich Kunst bildet. Nicht im Mainstream, soviel ist uns klar. Und so führt das eine zum anderen über den Genuss am Sehen …