Ihr wisst, mein Blick gehört den kleinen Dingen, die uns erst das wahre Sehen lehren: die Sonnenstrahlen, wie sie über die Mauern huschen, die kleinen wilden Blümchen am Wegesrand, das Grün, wie es sich durch den Asphalt müht, und die Ästchen und Gräser, die die Fugen zwischen den Gehwehplatten zu winzigen Biotopen machen, die unverzagt ihre Geschichtchen erzählen.

“There are always flowers for those who want to see them”, sagte schon Henri Matisse, allerdings auf französisch. Die Umweltschützer nennen es “Restgrün” oder “Begleitgrün” und meinen damit vor allem die Vegetation entlang der Straßen.

Addiert man “mein” Grün, wie es sich wild und tapfer über die ganze Stadt ausbreitet, so würde eine riesige Parklandschaft daraus entstehen, bewohnt von Schmetterlingen, Würmern, Käfern und Kleinstgetier, mit Vögeln aller Art und uns, die wir dort rücklings liegen, um in den Himmel zu schauen und zu träumen. Ihr versteht, ich muss dieses “Restgrün” schützen gegen die fröhlich-ignoranten Betonierer.

Soviel zur Vorgeschichte. Gestern kreiste über unserer Straße der Hubschrauber, Polizeisiren, Absperrungen, kurzgesagt ein Ausnahmezustand, denn ihre “Royal Highness” Camilla hatte sich angesagt, 190 Meter von Roma e Toska entfernt, eine Grundschule zu besuchen. Melle und ich sind ein wenig aufgeregt, so gar nicht vorbereitet, es hätten doch wenigstens Union Jacks im Fenster als Welcoming grüßen müssen.

Wir gehen unser Arbeit nach, plötzlich steht eine der Ajudantinnen von Königin (wie sie mittlerweile heißt) Camilla in der Tür und fragt nach Countess Tyszkiewicz. Das wäre ich, sage ich und fühle mich british gesagt, etwas “puzzled”. Nun, meint die Dame trocken, man hätte sich informiert, King Charles und seiner Gemahlin gefällt mein grüner Blick auf die Details.

Ob ich errötete, ich kann es nicht mehr sagen, ein Rauschen in meinem Kopf. Das Outfit ist o.k., die Haare sitzen anständig. Ich solle doch bitte den Hofknips üben, keine Fotos, nicht zu viele Worte, wenn in wenigen Minuten die Königin des Vereinten Königreichs von Großbritannien, Nordirland und von weiteren Commonwealth Realms zu mir hereinkommt. Schluck!

Schon als Kind konnte ich keinen Knicks. Ich denke an Rixa, die Herzogin, die mich immer so galant mit dieser Geste begrüßt. Ein Bein vor, das andere leicht dahinter, auf keinen Fall so linkisch, wie es Anna Wintour (Vogue) bei der Queen machte.

Vielleicht serviere ich ihr den Seidenschal mit den Muscheln von Alexander von Humboldt, würde ihr sicherlich gut stehen, sie ist ein wenig schrumpelig um den Hals, die Camilla. Ich probiere vor dem Spiegel, wie es wirkt. Die arme Melle bekommt von all dem nichts mit, sie näht unten, und ich routiere hier oben.

Hautsache lächeln, so könnte es doch gehen. Fingernägel sind wie immer ein wenig schmuddelig, aber das wird sie verstehen, die Landfrau, die Pferdenärrin, die weiß, wie man bescheiden und handfest anpackt. Ich pumpe mich voll mit devotem Selbstbewusstsein und unerschütterlicher Natürlichkeit.

Dann überschlagen sich die Dinge, die Limosine hält, Security zu allen Seiten, die Nachbarn stürzen aus den Häusern und Geschäften, und sie tritt ein in ihrem dunkelblauen Kostüm. Ich knickse, lächele, nicke als würden wir uns kennen, sage kein Wort. Blumen, Herzen, sie nimmt dankend den Schal.

Wieder dieses laute Rauschen im Kopf, ich höre nichts oder fast nichts, nur so viel, dass ich eingeladen bin in den Buckingham Palace. Man will mich zur Dame Bridget machen. In Gedanken sehe ich all die anderen, wichtigen, bedeutenden, Ringo Star, Helen Mirren, David Beckham, wie sie das Schwert auf die Schulter gelegt bekommen …

Und schon ist sie weg und mit ihr der pinkfarbene Schal. Ich stehe immer noch da wie Sekunden zuvor, freeze, das Lächeln im Gesicht. Melle kommt mit ihrem Rucksack, um mir ein schönes Wochenende zu wünschen. “Melle, Melle, ich muss bald nach London!” Erst dann fällt es von mir ab, wir lachen, und ich muss sie im Überschwang umarmen.

Und so endet der Tag mit mir, meinem Begleitgrün vor der Tür, und wie eine herzliche Einladung winkt es rot-weiß-blau für mich von den Littfasssäulen der nächtlichen Stadt.