Heute ist der letzte Tag der Affordable Art Fair in Hamburg, und ich nutze es noch einmal für eine Vorstellung: die Künstlerin Alex Ewerth. Bewusst nenne ich es nicht ein „Gespräch“, denn wir verbringen zwar einige Zeit miteinander am Messestand, aber ich stelle keine Fragen, sondern beobachte ich sie, höre ihr zu, wie sie den Interessierten oder gar Käufer*innen von ihrer Kunst erzählt. Und dann begebe ich mich auf ihre Spuren in ein versponnenes fernes Reich der Kunst.

Alex Ewerth, Hold your Breath, 2023

Alex und ich kennen und kennen uns nicht. Seit einer Weile teilen wir uns die Räume oben im Tempel von 1844, der ersten Reformsynagoge der Welt, einer Ruine, in der mein Schlafdomizil ist und nebenan ihr Atelier.

Verstohlen husche ich morgens früh hindurch, schemenhaft an der Staffelei stehen ihre Arbeiten mit den Rückseiten aus Malerei und gebauten Szenerien, aufgespannt hängen Gaze-Motive. Nichts erschließt sich dem Ausstehenden, ein Bannkreis scheint um die Versatzstücke herumgezogen, nähertreten verboten. Aber im Kopf der Künstlerin entwickeln sich die Bilder zu Werken, entstehen wie in Trance Erinnerungspfade von Reisen, Wanderungen und Räumen. Es stapeln sich übereinander die Eindrücke.

Lange hat sich die ehemaligen Studentin der Saint Martin’s School of Art in London mit der Musik beschäftigt. Wie bekommt man das lineare der musikalischen Komposition in eine statische visuelle Kunst übertragen?

Alex Ewereth, Silence please, 77 x 63 cm, verkauft

Wie kann ich beispielsweise eine Fuge von Bach zu Malerei werden lassen? Sie experimentierte mit Schichten, mit Gaze-Materialien, zweidimensionalen und dreidimensionalen Elementen, Miniatur-Bauten und Fotografie. Die verschiedenen Ebenen erhalten in ihren Überlagerungen einen flirrenden, schwebenden Zustand. Realitäten werden zu neuen Realitäten verschoben.

Jedes Bildobjekt verändert sich mit der Position des Betrachters, mit zunehmender Entfernung wird es abstrakter, entsteht ein monochromer Farbklang von kontemplativer Ruhe.

Alex Ewerth, Marrakesh, 2023, Detail

Tritt man näher heran, zeigt sich die Fülle der Details. Unwillkürlich tastet das Auge ab, entdeckt man ständig wieder Neues. Wir werden zu Archäologen in einem Aquarium der Phantasie.

Alex Ewerth, At Dawn, 2021,  42 x 57 cm, € 4.000

Eines meiner Lieblingsarbeiten ist „At Dawn“. Pferde auf einer Wiese in der Dämmerung. Sie sind als Fotografie auf die Gaze gedruckt, so dünn als wäre das Material von Feen gewebt. Dahinter ist das Motiv noch einmal gemalt, Büsche und Gestrüpp sind als Miniatur-Objekte dazwischengesetzt. Friedvoll sieht es aus, „elysisch“, ein Wort, das wir vergessen haben, ich übersetze es mit: „nicht von dieser Welt“.

Alex Ewerth, Deep Forest, 2023, €4.800

Nun trage ich sie mit mir, die Wälder von Alex Ewerth, die futurischen Landschaften „Marrakesh“, die Innenräume „Silence Please“ und die Abenddämmerung mit den Pferden. Sie sind meine Begleiter, wenn ich das nächste Mal wieder durch ihr Atelier schleiche von einer Tür zu anderen, um nach draußen zu gelangen.

Alex Eweth, Hold your breath, 2023, verkauft. Es entstehen wenige Arbeiten im Jahr.

Heute wird die Künstlerin mit mir am Messestand sein, quirlig werden sich ihre Sätze überschlagen, gedrängt, so als wäre nicht genügend Platz in der linearen Zeit.

Ich werden es genießen, fühle mich bereichert und überlebe mir, wie sie alles wieder wie Musik bündeln wird, um es in der Ruhe ihrer Kunst einzufangen.