Manchmal steckt die gesamte DNA von etwas Großem in den ganz kleinen Dingen, und man kann es spüren. Philosophen haben es über die Jahrhunderte zu ihrem Thema gemacht, das „Universum in der Nussschale“, wie der Bestseller von Stephen Haking heißt. Ein wenig geht es mir so mit den Tellern von Otto Lindig (1895 – 1966), die sorgsam verstaut im Regal oben im Kapitänshaus warteten. Sechs an der Zahl, drei in beige-rosé, drei in beige-gelb, mehr als ein Beitrag wert.

Schaut man sie genau an und nimmt sie zudem noch in die Hand, spürt man sofort das Außergewöhnliche. Beinahe schwerelos wirken sie, wie aufgepumpt, die Keramik scheint sich als Materie auszulösen, zugunsten von reiner Form und matt-duftiger Glasur. Ein Stapel Teller wird zu einem künstlerischen Objekt, zeitlos modern und doch schon fast ein Jahrhundert alt.

Sie führen uns zum Bauhaus, das 1920 eine Keramikabteilung in dem Rokokoschloss von Dornburg/Saale eröffnete. 1926 absolvierte Otto Lindig dort seine Meisterprüfung. Sein Markenzeichen: eine bestechend einfache, fast archisch zu nennende Form. „Less is more“, wie es später heißen sollte.

Otto Lindig, 1926. Fotograf unbekannt

Aber das Wenig braucht seine Perfektion, um besonders zu sein. Alles unterliegt der kritischen Befragung, die leicht nach innen sich vertiefende Fläche, der weiche Wulst des Randes, der Farbverlauf der Glasur, der untere Abschluss, der Abstand zum nächsten Teller, wenn sie sich übereinander türmen, wie das Objekt in der Hand liegt oder plan auf dem Tisch … Mit den Händen geschaffen, wird doch der Zufall gebändigt, das ist die hohe Kunst und weist als Trend in die Zukunft.

Und so haben diese sechs Teller überdauert, die Bauhaus Keramikwerkstatt, die 1930 geschlossen wurde, den Krieg, die Nachkriegswirren, das Wirtschaftwunder mit der radikalen „Entsorgung“ alles Vorherigen, den Plastikwahn der Siebziger, den Billigtrend seit den Neuzigern, Ikea, Umzüge, Geschirrspülmaschinen …

Nun liegen sie auf dem Bistrotisch im Garten in Kampen auf Sylt, um sich in ihrer Einmaligkeit meinem Fotoauge zu präsentieren. Otto Lindig, sechs Teller, Mitte der zwanziger Jahre, € 480.