Es stimmt, ich lese gern und eine Menge, aber ich habe auch Zeit, im Zug, an der Bushaltestelle, wenn keiner reinkommt, oben im Tempel, auf Sylt, bevor ich einschlafe … – Die Freunde, die zum Abendessen kommen, wissen schon Bescheid, bloß nicht zu lange bleiben, die Gastgeberin will in ihren Büchern schmökern. Nun habe ich ungeplant und überraschend gleich zwei in der Hand. Irgendwie gehören sie zusammen, auch wenn sie das Gegenteil beschreiben…

Ece Temelkuran, 1973 in Izmir in der Türkei geboren, Juristin, Schriftstellerin, Journalistin, sie wurde für die Regierung unbequem und musste ihr Land verlassen. Nun untersucht sie in ihrem Buch, wie totalitäte System entstehen. „Wenn Dein Land nicht mehr Dein Land ist – oder sieben Schritte in die Diktatur„, 2019 erschienen, 2021 in der deutschen Übersetzung. Ich habe gut hundert Seiten gelesen und weiß jetzt schon, es ist eines der klügsten Bücher, die ich jemals gelesen habe. Mehr demnächst.

Und dann traf gestern das von dem Dalai Lama verfasste Buch „Der Weg zum Glück“ bei mir ein. Wenn Ece Temelkuran die Gewalt untersucht, geht es bei dem geistlichen Oberhaupt der Tibeter um die Güte. Ich sitze im Zug, es ist spät, ich beginne zu lesen, obwohl ich hundemüde bin. Den Bleistift in der Hand und eine gehörige Skepsis in mir. Ich möchte keine Lebensweisheiten für den Hausgebrauch konsumieren.

Aber die Lektüre kam auf Empfehlung der Kriegsreporterin Katrin Eigendorf, deren ruhige, besonnene und intelligente Art mich beeindruckt. Sie bereiste viele Krisengebiete, war in Afghanistan, berichtete aus der Ukraine und immer war dieses Buch mit dabei. Es würde ihr Antworten und Trost geben, wenn dass, was sie an Leid sieht und erlebt, schier nicht mehr zu ertragen sei, so sagte sie.

Auch über dieses Buch werde ich gesondert berichten, es ist einfach und schwer zugleich, wie alle Dinge, die wesentlich sind. Ich mache Kringel an den Rand, notiere: „Nicht ganz verstanden“, versuche zu verinnerlichen, wie es geht, sich emotional umzudrehen, um die „Unwissenheit, Voreingenommenheit, ihren Hass und ihren Stolz“ in mir aufzunehmen, ohne mich zu beschädigen, wie der Dalai Lama schreibt.

Vielleicht lese ich erst das eine, dann das andere Buch. Aber mit welchem fahre ich fort? Wieder zwei literarische Werke, die mich gefunden haben. Ich werde sie parallel lesen, wüsste nicht wie sonst.