NO PHOTOS! Handys sind nicht erlaubt, wo wir hingehen. Wir verlassen gegen 21:00 Uhr unser Hotel im Berlin-Mitte. Meine Tochter Toska hat eingeladen zu ihrer ersten Ausstellung Disobedient Objects, Revolting Fetishism. Der Ort ist ein ungewöhnlicher, keine Galerie, kein klassischer Ausstellungsort. Nein, weit davon entfernt: Es ist das KitKat, Fetisch-Club, kult im Berliner Nachtleben.
Das KitKat bei Tag, wie all diese Orte brauchen sie das Licht der Nacht.
Sorgfältig hatten wir uns verbereit. Der Outfit-Plan sieht eher ein Ausziehen als ein Anziehen vor.
Biggi aus Köln wählt den Faltenrock von Roma e Toska und eine Leder-Corsage. Ich habe ein durchsichtiges Hängerkleid von Comme des Garçons, das schon seit 30 Jahren im Kleiderschrank hängt und geduldig auf seine Auftritte wartet. Darunter raffinierte Strumpfhose, BH, mehr ist nicht erlaubt. Nele trägt einen ihrer Kimonos, Alex im Body.
Ein wenig aufgeregt, erwartungsvoll, echt heiß, so passieren wir den Türsteher. Es geht Underground. Eine unbekannte Welt, „dark“, aber nicht beängstigend, was mich wundert. Schilder führen uns um Ecken, Treppen hinab, durch Kellerräume, „Verließe“ mit schwarzen Steinwänden bis wir zum Salon Rouge kommen, wo Toska ihre Ausstellung zeigt.
Ein paar Freund*innen haben sich schon eingefunden. Toska sieht umwerfend aus, trägt das Wenige mit einer Selbstverständlichkeit als hätte sie Rollkragenpullover und Jeans an. Nacktheit bekommt eine verblüffende Natürlichkeit, verliert ihre Provokation und ein wenig auch ihre erregende Sinnlichkeit. Wir sind einfach da in diesem zusammengewürften Miteinander. Alexi aus der Réunion, Gae aus Paris, ein Typ, der Philosophie und Politikwissenschaften studiert, Hannes, wie schön und königlich er wirkt in seinem Frack mit den goldenen Bändern als Verschluss. Hier ist sein nächtlicher Arbeitsplatz während er tagsüber seine Ausbildung zum Psychoanalytiker macht. Nicole und Bernard Franken sind aus Frankfurt angereist. Wir alle haben im Crowdfunding Toska unterstützt. Nun sind wir hier, mit einer neugierigen Diskretheit, die wir bald ablegen sollten, schlürfen Sekt und lassen uns Drinks mixen.
Noch ist die Musik leise genug, dass Toska ihre Arbeiten erklären kann. Die Geschichte der O. Aus der Perspektive der Frau wird Sexualität und Perversion erzählt. Es war ein wichter Ausgangspunkt für die große Objekt-Collage mit Miedern aus dem 19. Jahrhundert, mit Stoff und Drahtumwickelungen.
Detail aus der großen Collage mit Corsagen
Ich sehe vor allem eine lustvolle Eleganz, die Nostalgie des „temps perdu“, Leichtigkeit und Schwere, gefesselt und frei fliegend.
Daneben, für meinen Geschmack ein wenig zu hoch, die große Muschel-Skulptur mit Wachs übergossen, Wounded Nature, Perverse Beauty. In ihrem Katalog schreibt Toska: „Nature is rarely as pure as we imagine. It is touched, scarred and reshaped – just like desire itself.“
Ich wünschte ich hätte Fotos, andere als diese wenigen aus dem kleinen Katalog, die zeigen, wie sich etwas unbeirrbar aufbäumt, Festigkeit sucht in seinem empfindlichen Konstrukt, Balance findet, überlagert wird von fließend-erstarrtem Wachs, im ständigen Wandel begriffen. Einfach zauberhaft. Eine Arbeit, die ihre ganz eigene Handschrift besitzt.
Arousal Fluids, Toska bei der Arbeit. (Katalog-Abbildung)
Mittlerweile kann ich Toskas Erläuterungen nicht mehr verstehen, die Beats dröhnen lauter und lauter. Aber ich habe ja Augen zum Sehen. Alles werde ich hier nicht beschreiben können, nur noch die Skulptur aus Glas, Draht und Spinnweben.
Fragile Boundaries heißt sie, und fragil ist sie wirklich, entstanden aus echten Spinnweben, ausbalanciert, als würde sie sich bewegen können. Ich muss an Giacomettis „Woman with a tortured Neck“ denken. Man spührt den Schmerz oder besser die Verwundbarkeit, künstlerisch interpretiert mit einer erotischen Poesie. Ich liebe diese Arbeit!
Dann reißt uns die Nacht fort, wir tanzen zu der lauten Technomusik. Irre! Keiner rempelt den anderen an, keiner wirkt lüstern. Jeder tanzt und lässt einfach los. Die Welt bleibt draußen, hier herrschen eigene Regeln. Wer weiß schon, wie spät es ist. Die Handys, unser Uhrenersatz, liegen im Hotel. Noch ein Drink, der in die Knie geht. Dabei kann ich meinen Blick nicht von der Barkeeperin lösen, faszinierend wie sie ihre Drinks mixt, hingebungsvoll, konzentriert, es sollen die Besten von ganz Berlin sein.
Seductive Forms of Cruelity
Mittlerweile ist es richtig voll. Männer und Frauen in unterschiedlichen Konstellationen Arm-in-Arm. Viele sehen aus, als säßen sie tagsüber in der Schalterhalle einer Bank oder Versicherung. Nun tragen sie nicht viel mehr als ein paar Lederriemchen. Es kommt mir vor, als hätte der Kitkat Club sich wie eine Muschel geöffnet und uns einfach verschlungen. Wir sind ein Teil des Underground, brüllen uns ein paar Gesprächsfetzen ins Ohr und tanzen wieder.
Tusch-Zeichnung mit Draht und Kerzen
An einer anderen Bar, ein paar Treppen hoch und wieder hinaub, irgendwo in dem Dschungel dort unten, steht Ronaldo, ein anderer Barkeeper und erzählt uns seine Geschichte, wo er herkommt. Ich verstehe nichts, aber lächele ihn an. Es muss schön sein, dort wo er herkommt. Er gibt uns eine Runde Vodka aus. Pures kann doch nicht schaden, oder? Ich probiere den Tanz auf dem Podest und noch ein Swing um die Stange, aber das lassen wir besser für zweites Mal.
Stunden später, nach vielen Umarmungen mit Toskas Freunden und dem Versprechen, dass wir uns wiedersehen, spuckt uns die „Muschel“ wieder aus. What a Night. Espresso – Zitrone – Salz. Es ist der 8. März 2025, Weltfrauentag. Wie passend. Was wir erlebt haben, hat mit einem starken Frausein zu tun.
Ich brauchte den ganzen Tag in Berlin, in der Sonne auf den Treppen des Alten Museums mit Blick auf Dom und Schloss, um mich zu sortieren.
Schicken wir unsere Vorurteile zur Hölle und lassen uns einfach ein auf die Nacht und die Kunst, die immer in sich das Subversive trägt. Es verändert das Sehen.
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Congratulations to Toska on her fascinating exhibition! Please bring it to New York! x Sharon
I would love to! Let‘s wait and see! Thank you. I will send Toska your greetings. Birgit