Ganz Deutschland, oder sagen wir zumindest Zweidrittel oder gar Dreiviertel, auf jeden Fall die Hälfte, lebt mit der Angst, in diesem Herbst-Winter zu (er-)frieren. Keine Sorge, auch in dieser Sache bin ich Expertin, nicht was das ERfieren anbelangt, aber das Frieren mit Kultur.

In der Tyszkiewicz Familie fror man über Jahrhunderte mit Anstand in Herrenhäusern und Schlössern, und wir selbst machten immer wieder das Home-Frost-Experiment. „Nur die Bourgoisie hat es warm“, sagte der Graf ein wenig despektierlich.

Meine bürgerlichen nichtsahnenden Eltern liebten es im Wohnzimmer bei 26°C. Ich atmete flach, bekam einen hochroten Kopf, aber meine Mutter bot noch besorgt das Feuer im dänischen Ofen an. Man könnte sich ja erkälten. Falsch, wer kühl wohnt, wird nicht krank (oder nicht so oft).

Wir lebten und froren zunächst in einem Herrenhaus, gefühlte Innentemperatur 12°C. Man traf sich abends gemütlich vor dem Kamin. Jeder von uns hat die schönsten Erinnerung an diese Zeit.

Dann zogen wir zurück in die Stadt in ein etwas heruntergekommenes Loft, keine Heizung, mit 6 – 8° Grad Celsius etwas „schattig“, wie man salopp sagen könnte. Handschuhe beim Schreiben, sinnierend dem Atem nachschauen, Abendessen mit Mütze, Schal und roter Nase. Nie krank.

Ganz neue Wünsche und pragmatische Sehnsüchte entstanden wie Fussboden-Heizung im Badezimmer oder Handtuchwärmer, Warmluftpüsti. Die Töchter erzählen immer noch von dieser Kindheit und Jugend, als wären es Geschichten wie aus einem Märchen.

Unser Leben fühlte sich wohlig nach Entbehrung an, und plötzlich war jeder solidarisch mit Helden wie Doktor Schwiago, Charlie Chaplin in „Goldrausch“ oder Pierre Besuchow aus „Krieg und Frieden“. So etwas kennen moderne T-Shirt Träger*innen im Winter nicht.

Es geht gar nicht nur darum, dass Russland uns den Gashahn abdreht, es geht grundsätzlich um ein Umdenken, wie wir mit Energie umgehen, ein Bewusstsein für Entbehrungen schaffen, Klimawandel verinnerlichen. Ich schlage vor, wir frieren uns hübsch. Tragen einen Pullover mehr über dem anderen, eine Fellweste dazu, einen Schal, dicke Socken handgestrickt …

Vyshyvanka aus Leinen bestickt, Ketten Yves Saint Laurent.

Als Designerin werde ich ein wenig umplanen, um Euch stylisch warm für den bevorstehenden Herbst-Winter auszustatten. Es wird sich aristokratisch anfühlen, zukunftsweisend trendy und herrlich altmodisch (unsere Vorfahren froren auch). Außerdem gibt’s passend zum Outfit noch die richtige Wärmflasche.

Aus Doktor Schiwago, 1961

PS: Wer nicht ab-und-an ein wenig kokett vor sich hinfröstelt und friert, kann sich auch nicht ankuscheln. Ich plädiere für die kalten Monate: zusammenrücken, von der Wärme des anderen profitieren, und sich ein wenig solidarisch fühlen mit denen, die wirklich frieren!