Wie ist das, wenn die erwachsene Tochter aus Paris zu Besuch auf die Insel kommt? Prallen dann die Charaktere aufeinander? Toska hat sich ein paar Tage „geklaut“, obwohl sie mitten in ihrer Masterarbeit steckt. Philosphie-Ästhetik, Walter Benjamins Blick auf den Barock, über die Dinge, wie sie ihre Aura verlieren, ihre Brüche erhalten. Geschichte wird rückwärts nach vorne erklärt. Ich höre zu und versuche zu verstehen, aber Mütter verstehe eh nur die Hälfte, in der Wahrnehmung der Kinder. Es reicht, dass ich es spannend finde und meine Denkweise erweitere.

Wir sprechen über künstliche Intelligenz, ein Thema, dass ich allzu gern ausklammere. Es ist eines der wenigen, bei dem ich mich alt und gestrig fühle. Mein Erschrecken überwiegt deutlich einer Faszination. Schwer zu verstehen, dass Computer-Hirne die gesamte wissenschaftliche Sekundärliteratur zusammenfassen können und ihre eigenen Artikel verfassen.

Alles, was beispielsweise über Vermeer bislang veröffentlicht wurde, haben sie in ihrem Speicher und machen daraus brillante Essays. Hilfe Karen, wo bleiben wir? Was ist unser USP (Unique Selling Proposition)?

Toska zuckt mit den Schultern. Das ist eine ihrer vielen Orwell’schen Zukunften. Sie verweist genauso wie ich auf das (Kunst-) Handwerk, auf die Kreativität, die Keramik mit ihren Oberflächen, Stoffe, Garne … Hier sind wir „unique“, einzigartig in unserer Schöpfungskraft. Jedenfalls bislang und hoffentlich bleibt das so.

Es ist Abend und wir haben Gäste. Ich höre zu, wie meine Tochter erzählt, von Paris, wie man sich eine Stadt erobert, indem man die Menschen aufsucht, die beständig an dem selben Ort anzutreffen sind, der Mann hinter der Theke im Bistro, der morgens den Café Creme serviert, der Bouquinist an der Seine, der Clochard unter der Brücke. Wenn man einsam ist, niemanden sonst kennt, noch keine Clique hat, dann hilft das freundliche „Salut“ dieser fremden Freunde. Paris kann auch ein Dorf sein.

Ich fühle mich privilegiert von ihr zu lernen. Und wieder ist schnell die Brücke zu Alexander von Humboldt (1769 – 1859) und meinem Kollektionsthema geschlagen. Sein Satz gilt auch für mich:

„Ich wollte schon immer alt werden, wenn nur die, die um mich her sind, jung sind.“