„Wir können Schönheit nur wieder verstehen, wenn wir uns nicht länger der Frage verschließen, was Leben ist. Nur dann haben wir eine Chance, die Natur oder das, was bis dahin von ihr geblieben ist, zu bewahren.“ (Aus: „Der Geist der Schönheit“ über Ernst Haeckel von Andreas Weber*, Mare Ausgabe No.68, Juni/Juli 2008)
Wie immer liegen neben meinem Bett verschiedene Bücher und Artikel. Ich bin mal wieder auf der Suche, auf Recherche und lass Euch einfach daran teilhaben. Es geht um die Medusen, die Radiolarien, die Einzeller und um ihren Entdecker Ernst Haeckel (1834 – 1919). Aber natürlich geht es für mich auch kreativ um das Frühjahr/Sommer 2020, um mit den Mitteln der Mode zu beschreiben, was uns abhanden gekommen ist: der Zusammenhang von naturgesetzlicher Notwendigkeit und kunstvoller Schönheit.
Dabei stolperte ich über einen Artikel von Andreas Weber, den der Philosoph und Meeresbiologe (was für eine Kombination!) für den Mare Verlag geschrieben hatte. Er schildert, was mir als Kunsthistorikerin bekannt war, aber nun in einen neuen Kontext gebracht wird: Das letzte Aufbäumen der Schönheit im Fin de Siècle, dem Jugendstil, bevor es zu einer endgültigen Abkehr davon kommt. Weber verbindet die Wissenschaften, die Kunst und den Zeitgeist. Schönheit weicht der Effizienz. Erkenntnis und die Beherrschbarkeit unserer Welt werden zur Obsession. Die ästhetische Krise fällt mit der Krise der Wahrnehmung von Natur zusammen. Interessant. Und da kommt Ernst Haeckel ins Spiel, der sich mit seinen Darstellungen von zierlichen Quallenwesen gegen die Zeit stemmt.
Als junger Biologe reiste er mit seinem Mentor und Professor Johannes Müller nach Helgoland. Sie hatten sich Kescher mit Drahtring und Damenstrümpfen gebastelt, um so aus dem Meer mikroskopische Organismen zu fischen: Krebse, durchsichtige Würmer, Plankton. Es offenbarte sich ihm eine zauberhafte Welt des Unbekannten, Unentdeckten, die er im Folgenden zu Papier brachte, weniger mit Worten als mit Zeichnungen von Symmetrie und Schönheit. Die Gesetzmäßigkeit von Natur folgt nicht nur dem Prinzip der Optimierung, wir sollten aufhören von einer seelenlosen genetischen Überlebensmaschine zu sprechen, so Weber. Intuitiv hat der Wissenschaftler Ernst Haeckel entdeckt, was der Geisteswissenschaftler und Künstler Haeckel schon wusste: in den kleinsten Wesen der Natur zeigt sich die ganze Fülle und Vitalität des Lebens – und das ist Schönheit!
*Andreas Weber, geb. 1967, ist promovierter Philosoph und Meeresbiologe. Er beschäftigt sich in Büchern und Reportagen mit den übergreifenden Fragen von Mensch und Natur. 2007 erschien sein Buch „Alles fühlt. Mensch, Natur und die Revolution der Lebenswissenschaften.“ Im gleichen Jahr veröffentlichte er „Biokapital. Die Versöhnung von Ökonomie, Natur und Menschlichkeit.“ Sein Artikel über Ernst Haeckel in Mare No.68 ist noch zu bestellen. – Eindringlich, lesenswert mit wunderschönen Abbildungen der Naturformen von Ernst Haeckel.
Liebe Frau Gräfin Tyszkiewicz,
ich habe beim Lesen Gänsehaut bekommen. Ihr Beitrag packt mich emotional. Ich bin gerade mit meinen Viertklässlern am Thema „die Bedeutung des Phytoplanktons für das Klima „und suchte außerdem noch eine Idee für einen ausgeschriebenen Wettbewerb zum Thema „Vielfalt“. Jetzt bin ich voller neuer Ideen. Danke!!!