Aufgrund von Arbeiten an der Website kommt es leider zu Störungen, und der Newsletter kann momentan auch nicht verschickt werden. Trotzdem der Report: Tag 3 in Peru mit neuen Begriffen und intensiven Eindrücken. Ich befinde mich in Pucallpa am Rio Ucayali, einem der beiden Quellflüsse des Amazons. Mein Wunsch war es, möglichst nah an die indigene Bevölkerung, ihr Handwerk und ihre Kunst zu kommen. An meiner Seite Rosa Ynés, sie kennt die alten Stammesführerinnen und die jungen Künstler. Selbst ist sie “die Frau der Bäume”, wie ich sie nenne.

Rosa Ynés auf ihrer Plantage, wo sie die Bäume des Amazonas zusammenbringt.

Mit ihrem Auto fahren wir durch die schlammigen Straßen aus rötlichem Sand, der dieser Stadt ihren Namen gab (puka hallpa auf Quechua = rote Erde). Schlaglöcher, Motorcars und Motorräder, die Scheiben beschlagen, immer wieder Regen. Hier sieht jede Ecke gleich aus. Weder Namen noch Nummern an den Häusern. Rosa Ynés versucht sich zu orientieren, telefoniert. Wir sind auf der Suche nach Felizitás, dem weiblichen Oberhaupt der Yine.

Muster der Yine an den Mauern in der Stadt.

Die Yine sind ein altes präkolombianisches Volk, sie leben vom Fischfang und sind versierte Seefahrer, weswegen man sie auch die “Phönizier der Flüsse” nennt. Mittlerweile gibt es nur noch wenige Tausende von ihnen, die meist in abgelegenen Siedlungen leben, verstreut über ein riesiges Gebiet. Der Zugang zu ihnen wird nur selten genehmigt, um sie in ihrer Identität zu schützen.

Endlich, hier scheint es zu sein. Ein Zaun aus Wellblech, nichts verrät, dass dahinter eine Meisterin wohnt, eine von nur noch zehn Frauen, die die Tradition des textilen Kunsthandwerks der Yine ausüben. Ihre Enkeltochter öffnet. Wir umarmen uns.

Zurückhaltend und respektvoll beuge ich mich zu der kleinen Frau herab. 84 Jahre ist sie alt, kam gerade von einer Flussreise, auf der sie die Stammes-Familien besuchte. Sie lächelt. Ihre Augen wollen nicht mehr so recht, ihre Linsen sind trübe. Die Menschen hier sind arm, besitzen zwar eine medizinische Grundversorgung, aber viele Leistungen gibt es nur privatversichert. Eine Operation können sie sich nicht leisten.

Im Hintergrund webt eine Frau, vielleicht ist es ihre Tochter oder eine Schwester, eine Freundin? Sie hat von Felizitás die Techniken gelernt, und dieses Wissen gibt sie an die nächste Generation Frauen weiter. Einen Webstuhl gibt es nicht, gearbeitet wird im Sitzen, die Garne um die Hüften geschlungen.

Die Muster der Yines sind unterschiedlich breite Streifen (gewebt) oder strenge Linien mit roten Schnittpunkten, gemalt auf Baumwolle. Kerne von Bäumen werden mit eingeflochten. Ich bin begeistert, spüre sofort die Kraft, die diesen archaischen Strukturen innewohnt.

Den braunen Schal mit den Fransen erwerbe ich, er ist besonders. Und Felizitás wird für mich zukünftig weitere Dinge produzieren, wie mir Rosa Ynés erzählt. Ich empfinde es als Ehre, und es macht mich wirklich glücklich. Ob wir uns wiedersehen werden?

Weiter geht es rumpelnd durch die unbefestigten Straßen. Dunkle Wolken ziehen auf, gleich wird es wieder aus Kübeln schütteln. Ein kurzer Stop für ein Foto vor dem Barber Shop. Greetings to Jefferson in Hamburg. Bald werde ich so eine Alternative aufsuchen müssen.

Muster der Shipibo-Conibo (li) und Yime (re, rot) an den Mauern.

Mittlerweile kenne ich die Muster an den Straßenmauern und lerne sie nach Ethnien zu unterscheiden. Wir halten vor einem ähnlichen Wellblechzaun wie vorher bei den Yine. Dahinter lebt John mit seiner Mutter. John ist sein spanischer Name, auf Shipibo heißt er Menin.

Die Shipibo-Conibo sind eine der größten indigenen Populationen im Amazonas Gebiet. Sie versuchen ihre alten Weisheiten und Traditionen mit der Gegenwart zu verbinden. Spiritualität, Mythen, fantastische Traumwanderungen bestimmen ihre Rituale und ihre Kunst. Charakteristisch für sie sind die bestickten Stoffe und geknüpften Perlenbänder.

John entfaltet ein erstes Tuch, über zwei Monate haben er und seine Mutter an dem Bild gestickt. Ich bin beeindruckt, die Farben, die Komposition, die Motive. Es ist eine komplexe Erzählung. Es folgt ein Unikat schöner als das andere. Wenn ich möchte, könne ich es für meine Modelle zerschneiden, meint er auf Englisch. Nein, hier kann ich keine Schere ansetzen. Das ist ein Piece of Art.

Dann zeigt er mir weitere seiner Arbeiten, weniger märchenhaft, aber ganz in der Sprache der Shipibo. Endlos sind die Muster, wie Traumpfade oder Wanderungen. Am liebsten würde ich alles kaufen, aber meine Reise ist noch lang, und ich habe mich gezwungen, erst einmal mit den Augen zu sammeln.

Ich entscheide mich für einen Schal oder eine Schärpe, wie auch immer ich den bestickten Stoff nutzen möchte. In meinem Kopf entstehen die ersten Bilder von Modellen vor textiler Kunst an den Wänden. Wir nehmen uns noch mal herzlich in den Arm. Dann geht es abends zurück mit dem Flieger nach Lima. Ob ich doch etwas fest reservieren sollte? Wie bekomme ich es gleich mit nach Deutschland? Ich muss die Entscheidung vertagen, bin todmüde.

Tag 4 in Lima. Wieder wache ich viel zu früh auf, Reste von Jet-lack. Ich mache schnelle Notizen, beginne zu schreiben, bespreche mit Freund Aldo aus Italien die Korrekturen zu Encyclopedia. So ist das in der Fashion-Welt: Es lebe die Gleichzeitigkeit. Später spaziere ich entlang der Promande, unter mir der Pazifik. Es fühlt sich an wie in einer Zauberwelt zwischen indigenem Kunsthandwerk und meiner eigenen Kreativität.

Re-store. Re-fresh und Re-Connect. Die Trendbegriffe für das Frühjahr/Sommer 2026. Wie treffend sie hier anwendbar sind.