Erst ist es dunkel und die Sterne samt Mond glitzern noch über dem Haus. Ich schreibe, es ist 5:47 Uhr. Der Hund liegt hinter mir und seufzt leise vor sich hin, der Kaffee duftet neben dem Computer, rundherum Notizen und Papiere verteilt.

Langsam wird es hell. Mein Blick geht versonnen aus dem Fenster gen Osten, wo die Sonne aufgeht zwischen düsteren Wolken. Schnell noch die letzten Zeilen notieren, der Hund stupst mich schon mit der Schnauze an. Es wird Zeit, ein Ende zu finden.

Wenig später regnet es, als ich mit dicker Jacke, Pullover und kurzer Hose durch die Dünen zum Strand gehe. Und dann kommt die Sonne durch und es gibt diesen doppelten Regenbogen, den ich nie ohne ganz besondere Gefühle ansehen kann. (Meine Mutter starb und es gab einen zweifachen Streifen am Himmel. Ich denke an sie).

Sorgsam packe ich meine Sachen unter die Jacke, die schon trief-nass ist und springe ins eiskalte Wasser, um durch den Regenbogen zu tauchen. Ach, ist das Leben nicht schön. Ich erinnere mich an Kurt Tucholsky und sein Ideal (1927):

Ja, das möchste: // Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, // vorn die Nordsee*, hinten die Friedrichstraße; // mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, // vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn – // aber abends zum Kino hast dus nicht weit. // Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit:

Neun Zimmer – nein, doch lieber zehn! // Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn, // Radio, Zentralheizung, Vakuum, //eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm, // eine süße Frau voller Rasse und Verve – // (und eine fürs Wochenend, zur Reserve) – // eine Bibliothek und drumherum // Einsamkeit und Hummelgesumm.

Im Stall: Zwei Ponies, vier Vollbluthengste, // acht Autos, Motorrad – alles lenkste // natürlich selber – das wär ja gelacht! // Und zwischendurch gehst du auf Hochwildjagd.

Ja, und das hab ich ganz vergessen: // Prima Küche – erstes Essen – // alte Weine aus schönem Pokal – // und egalweg bleibst du dünn wie ein Aal. // Und Geld. Und an Schmuck eine richtige Portion. // Und noch ne Million und noch ne Million. // Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit. // Und famose Kinder. Und ewige Gesundheit.

Ja, das möchste!

Aber, wie das so ist hienieden: // manchmal scheints so, als sei es beschieden // nur pöapö, das irdische Glück. // Immer fehlt dir irgendein Stück. // Hast du Geld, dann hast du nicht Käten; // hast du die Frau, dann fehln dir Moneten – // hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer: // bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher.

Etwas ist immer.
Tröste dich.

Jedes Glück hat einen kleinen Stich. // Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten. // Daß einer alles hat: // das ist selten.

Abb: Blick durch die Zimmer im Tempel 1844, Gemälde von Alexandra Vogt.

Und dann denk ich an die POOLSTRASSE 12, den Tempel 1844, die alte Synagoge. Morgen werde ich darüber schreiben, von der Zeit um 1844 und was noch so kam und kommt. Nun muss ich erst einmal unter dem Regenbogen zurück ans Ufer. Ich brauch kein Pony, zum Glück, und ein Auto besitze ich auch nicht. Für das prima Essen sorgt der Graf und für alles andere halt ich’s mit Tucholsky: Dass einer alles hat: das ist selten.

*Ostsee gegen Nordsee eingetauscht.