„Ich gebrauche jetzt die besseren Wörter nicht mehr“, so beginnt die Textsammlung „Schlechte Wörter“ von Ilse Aichinger, erschienen 1976, ein schmales Büchlein, das schon eine ganze Weile auf meiner Fensterbank liegt. Die Autorin gehört zur Gruppe 47, die gerade in aller Munde ist, feiert sie doch ihr 75-jährige Gründungsjubiläum. Es war ein Zusammenschluss der damals noch unbekannten Schriftsteller-Avantgarde u.a. mit Heinrich Böll, Ingeborg Bachmann, Günther Grass, Martin Walser … – Die Stunde Null der Literatur.
Was auch immer mich zu dem Kauf dieser anspruchsvollen kleinen Lektüre annimierte, ich erinnere mich nicht mehr. Ich blättere, ich lese gegen den Wind, ich lese den Hunden vor. Mich interessiert das Absurde, die „Zertrümmerung von Sinnsystemen“, wie es heißt.
Die Prosa zwingt mich zum langsamen Lesen, wo ich sonst immer alles so schnell erfassen will, mich manchmal selbst überhole. Ich inhaliere Wort für Wort und die Bilder dazu werden reich und vielschichtig:
„Der Regen, der gegen die Fenster stürzt. Früher wäre mir da etwas ganz anderes eingefallen. Damit ist es jetzt genug. Der Regen, der gegen die Fenster stürzt. Das reicht. Ich hatte übrigens gerade noch einen anderen Ausdruck auf der Zunge, er war nicht nur besser, er war genauer, aber ich habe ihn vergessen, während der Regen gegen die Fenster stürzte oder das tat, was ich im Begriff war, zu vergessen …“ (Ilse Aichinger, Schlechte Wörter)
Wer sich wundert, was ich heute Morgen trage, dem sei erklärt, dass ich den Grunge der neunziger Jahre nachempfinde, mit dem mottendurchlöcherten Cardigan von Christopher Kane, den ich im Keller in einer Kiste wiederfand. Der Vintage-Mantel von Alexander McQueen, die Jeans von Margiela, der Rest von mir.
Damals trug ich auch Grunge, Luxus-Grunge, wie er heute wieder Trend ist. Ein verwaschener Wollmantel von Comme des Garçons zum Beispiel, der aussah, als käme er aus der Mülltonne. Es war mein Protest gegen die bürgerliche Eleganz in unserer Straße, mit der ich damals nicht umgehen konnte. Heute mag ich sie …
„Ich kann mich heraushalten, ich kann mich sogar leicht heraushalten. Ich kann daneben bleiben.“ Schreibt Ilse Aichinger, und weiter: „… ich beginne eine Schwäche für das Zweit- und Drittbessere zu bekommen, vor dem sich das Gute ganz geschickt verbirgt, …“
So ein Satz widerspricht meinem bisherigen Denken, aber er tut gut, erlaubt mir, noch einmal komplett neu anzusetzen.
„Ich bin auch bei der Bildung von Zusammenhängen vorsichtig geworden. Ich sage nicht während der Regen gegen die Fenster stürzt, schleifen wir die Untergänge vor uns her, sondern ich sage der Regen, der gegen die Fenster stürzt und die Untergänge vor sich herschleifen und so fort.“ (Ilse Aichinger, Schlechte Worte)
„So lässt es sich leben und so läßt es sich sterben und wem das nicht ungenau genug ist, der kann es in dieser Richtung ruhig weiter versuchen. Ihm sind keine Grenzen gesetzt.“
Mit diesem Satz endet die einleitende Prosa über die „Schlechten Wörter“ von Ilse Aichinger. Drehen wir die Prozesse um, wenn auch nur ab und an, wenn der Regen gegen die Fenster stürzt.
Und auch das nächste Kapitel saugt mich auf, führt mich weit in die Phantastereien meiner Kindheit zurück: „Flecken. Wir haben jetzt Flecken auf unseren Sesseln. Es sieht aus, als hätte jemand gezuckerte Milch darüber geschüttet. Diese Flecken sind zu bedenken … “
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