Mit einem Taxi wär auch schön. Aber ich liebe das Zugfahren, trotz aller Unwegsamkeiten. Die Landschaft fließt vorbei, wenn sie denn fließt. Ich sitze im Warmen mit wechselhaften Temperaturen (arktisch bis tropisch), vor mir auf dem Tisch Kaffee, Croissants und Computer, um meinen Reisebericht zu starten. Wir kommen abrupt zum unvorhergesehenen Stop kurz vor Bremen. Notarzt Einsatz beim Zug voraus. Wartezeit noch offen, 20 min., 30 min., dann ein Pfiff, es geht weiter. Umdisponieren, nicht Dortmund in den Eurostar umsteigen, sondern Köln. Auch gut. Mittlerweile weiß das Großraum-Abteil samt Schaffnerin: Oberste Priorität, die Dame will nach Paris!

Dort wartet Toska auf mich, wenn sie denn wartet, schließlich ist sie very busy mit Terminen, noch schnell einen Galeristen treffen usw. Auf jeden Fall erreichte mich schon gestern ihre vorsorgliche Nachricht: “Du nimmst aber nicht deinen rucksack oder?” – Was soll das nun heißen, ich reise immer mit meinem Rucksack. Bin ich mit Rucksack nicht standesgemäß? Ich antworte knapp samt Foto mit Hairstylist Jefferson. Sie wird es verkraften.

Um mich herum das Gepäck, ein wenig verrückt ist es schon: a.) Rucksack mit drei Din-A4 Skizzenbüchern, Computer, Reisedecke, b.) tonnenschwere Reisetasche, c.) Beutel mit Proviant und selbstgemachter Marmelade von Anne (aus dem Kühlschrank stibitzt). Dabei wollte ich doch leicht und beschwingt unterwegs sein, hatte den Koffer vorsorglich auf der Insel gelassen. Das ist auf jeden Fall misslungen. Irgendwie brauchte ich plötzlich alles: extra Schuhe, drei oder vier Outfits, Puffarmblusen (wohlgemerkt im Plural), Geschenke … und (!) nicht nur Meyer’s Lexikon Band “A”, sondern auch das Kompendium mit dem Buchstaben “P”, in dem ich gestern noch kurz vor Mitternacht stöberte.

Schlappe 5 Kilogramm für die “A”s mit “Algen”, “Alpen”, “Apfelsorten” und “Arctic-Fauna”. 5 Kilogramm für Band 13 von “Nordseekanal bis Politesse”. Ihr könnt dann hochrechnen + Necessaire, Schuhe, Blusen, Röcke, Blazer, Mario Vargas Llosa “Das grüne Haus”, Teile der Buchhaltung, Mini-Stativ … Was frau eben so braucht, wenn sie 7+ Stunden unterwegs ist.

Toska wird die Krise kriegen, aber wie kann ich reisen ohne “P”?! “P” für “”Paris”, für “Peru”, für “Pflaumen” (herrlich!) und “P” für “Pilze” (lat. Fungi), eventuell die dritte große Kategorie der neuen Kollektion Encyclopedia. Kreisen wir gemeinsam kreativ um die drei “F”s: Flora, Fauna, Fungi.

Noch weiß ich nicht viel von ihnen, nur wie mysteriös sie sind, wie sie in der Erde ein gewaltiges Kommunikationsnetz aufbauen. Was allerdings in dem altdeutschen Text steht, klingt verwirrend mit all den Namen und Kategorien: “Phycomycetes” (Algenpilze), “Mesomycetes” (Übergangspilze), Höhere Pilze, Schaumpilze … essbare, giftige. Seite für Seite Erklärungen, die “Pilze” scheinen den Herausgebern von 1895 besonders wichtig gewesen zu sein.

Und dann wieder die wunderschönen Bild-Tafeln. Ich sehe schon die passenden Stoffe dazu, die Woll-Bouclés, die Jacquards, die Seide. Ist doch klar, dass dieser Buchstabe nicht in Hamburg bleiben durfte.

Die ersten drei Stunden sind wie im Flug vergangen, ich lehne mich ein wenig zurück. Zu lange habe ich vornübergebeugt gesessen. Mir ist übel von dem Schlingern des Zuges. Langsam wird es hell, meine Gedanken sind auf Reisen. Pilze. Muss mich unbedingt schlau machen.

Aber erst einmal lockt das “P” für “Paris”! Noch schlappe fünf Stunden, wenn alles gut geht. Es gibt mir ein Gefühl von weit und fern, von Zeit, die genussvoll verstreicht.