Wäre ich in der Kommission zur Vergabe des Nobelpreises für Literatur, ich wüsste sofort, wer ihn postum erhalten sollte: Susan Sontag für ihren Roman „Der Liebhaber des Vulkans“, 1992 in der Originalausgabe in New York erschienen, 1996 in der deutschen Übersetzung. Ein Fundstück und definitiv eines der klügsten Bücher, das ich jemals gelesen habe. Keineswegs übertrieben: Es ist ein Jahrhundert-Roman.
Es liest sich leicht und flüssig, die Erzählung besitzt ihre Spannung. Sie führt uns in das ausgehende 18. Jahrhundert, den Vorabend der Revolution und die nachfolgenden Wirren. Sir William Hamilton ist der „Vulcano Lover“, der Altertumssammler und englische Diplomat am Hofe von Neapel am Fuße es Vesuvs, in erster Ehe verheiratet mit Catherine, einer reichen, aber kränkelnden, zarten musisch begabten Frau. Nach ihrem Tod verliebt er sich in Emma, die schönste Frau ihrer Zeit, und die verliebt sich wieder in Lord Nelson, den Helden, den Admiral, der ausgesandt wurde, um das Königreich beider Sizilien vor Napoleon zu beschützen.
Vorschnell könnte man meinen, es handelt sich um eine dramatisch verzwickte Liebesgeschichte. Instinktiv ahne ich jedoch, dass ich dieses Buch erst vorstellen kann, wenn ich es zu Ende gelesen habe. Und genauso ist es, ohne dass ich den Schluss verrate.
Ich lese bis tief in die Nacht, die nächste wieder und die darauffolgende ebenso, … Dieser Roman begleitet mich, wohin ich gehe. Ein Beitrag wie dieser wird ihm nicht gerecht, Fortsetzung folgt. Beinahe essayistisch verwebte Sontag die unterschiedlichsten Themen zu einem faszinierenden Gesellschaftsroman, der schillernd und vielschichtig die Dekadenz und den Umbruch einer Epoche beschreibt. Es wird zu einem menschlichen Sittengemälde, und das macht dieses Buch groß!
Man spürt in jedem Satz die Präzision der amerikanischen Intellektuellen, dem Liebling der Künstler und der New Yorker Bohème. Als ich in den achtziger Jahren in Providence/Rhode Island studierte, war Susan Sontag (1933 – 2004) der ultimative Star. Sie wird es wieder.
Ich greife einen der zentralen Aspekte dieses Buches heraus: Das Sammeln, das sie auf unterschiedlichste Weise definiert und beurteilt. Es ist die leidenschaftliche Passion des Botschafter, des Cavaliere: „Sammler sind eingefleischte Listen-Ersteller, und wem es Spaß macht, Listen zu erstellen, ist ein Sammler oder wird noch einer.“
Aber ein Sammler ist auch ein „Verächter seiner selbst“, wie sie an anderer Stelle schreibt und ergänzt: „Jede Sammelleidenschaft enthält in sich die Vorstellung ihrer eigenen Selbstzerstörung.“ Sehnt sich der Sammler, wie Sontag mutmaßt „womöglich danach, von einem allesverzehrenden Feuer gereinigt zu werden“?
Während ich mich am Strand fotografiere und gleichzeitig meine Sammlung von Humboldt’schen Muschelschals vorführe, blättere ich in dem Buch, überfliege meine Markierungen: „Das Sammeln ist sowohl eine gesellige als auch eine räuberische Tätigkeit“, sie besitzt das Konkurrieren, das sich Überbieten. „Die großen Sammler sind keine Frauen, genauso wenig wie die großen Witzeerzähler.“ Warum? Ihre Erklärung verrate ich nicht (Seite 184).
Damit entlasse ich Euch in das Wochenende. Warum sammelt jemand? Eine Vielzahl der Antworten stehen bei Susan Sontag in „Der Liebhaber des Vulkans“. Und da es meine Sommerlektüre ist, geht es dazu in den nächsten Tage weiter.
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