Wenn nicht jetzt, wann dann? Während dieser Wochen im Shut-down und Lock-in, wenn das Zimmer, die Wohnung, das Haus, der Balkon und Garten zum neuentdeckten Refugium werden, brauchen wir die richtige Lektüre. Toska in ihrem kleinen Chambre de Bonne in Paris liest sich durch die Philosophen, allen voran der Franzose Henri Bergson (1859 – 1941). Roma schmökert in „Just Kids“ von Patti Smith. Ich habe meine ganz eigene Literaturliste zusammengestellt, die irgendwie in diese Zeit passt. Und wer die Bücher schon kennt (immerhin Weltliteratur), der liest sie neu mit einer veränderten Sensibilität:
Gabriel García Márquez, „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“, 1985. – Albert Camus, „Die Pest“, 1947. Beide Autoren erhielten den Literatur Nobelpreis. Márquez schreibt in einer Widmung:
„Camus irrt sich nicht in seinem Roman. Das Drama sind nicht die, die durch die Hintertür zum Friedhof entwischten – und für die die Angst vor der Pest endlich vorbei war –, sondern die Lebenden, die in ihren stickigen Schlafzimmern Blut schwitzten, ohne der belagerten Stadt entfliehen zu können.“
Aber ich greife vor, denn jedes der beiden Bücher soll separat vorgestellt werden. Es gibt noch ein drittes Buch, ein ganz anderes, eines, das rund um die Welt auf sehr besondere Weise gelesen wird: Das Tagebuch der Anne Frank. Am 12. Juni 1942 auf dem Dachboden in Amsterdam begonnen, endet es mit dem letzten Eintrag am Dienstag, den 1. August 1944. So lange war das Mädchen mit ihrer Familie eingesperrt auf kleinsten Raum und angehalten tagsüber leise zu sein, damit die anderen im Haus nichts von ihrer Existenz erfuhren.
Zurück zu „Liebe in den Zeiten der Cholera“. Das erste Mal las ich das Buch, da muss ich Ende Zwanzig gewesen sein, fertig mit dem Studium. Der junge Florentino Ariza wurde mein „Alter Ego“ in seiner unendlichen unerfüllten Liebe zu der jungen Fermina Daza. Genau wie er wollte ich irgendwo an der Straßenecke sitzen und für andere Liebesbriefe schreiben. Meine Passion, mein Talent, wenn ich bedenke, wie viele solcher Briefe ich in den letzten Wochen in alle Richtungen versandt habe.
Márquez schildert die Zustände in der geliebten Stadt in der Karibik mit den Augen des jungen Arztes Juvenal Urbino:
„Ein berühmter Reisender der Zeit beschrieb den Markt als einen der mannigfaltigsten der Welt. er war in der Tat reich, üppig und laut, zugleich aber auch äußerst gefährlich. Er stand auf seinen eigenen Abfällen und war den Launen der Gezeiten ausgesetzt, da dort die Bucht den unverdaulichen Unrat der Kloaken ans Ufer erbrach. Auch die Abfälle des nahen Schlachthofs wurden hier abgeladen, abgetrennte Köpfe, faulige Innereien, Tiermist, all das trieb Tag und Nacht in einem Sumpf von Blut.“
Es entwickelt sich dazwischen eine der schönsten Liebesgeschichten der Welt und gleichzeitig ist es eine Chronik des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit den großen Epidemien, die das soziale Leben fest im Griff hielten: Pest und Cholera.
Zur Hälfte bin ich durch, gestern Nacht habe ich um 1.30 Uhr das Licht ausgeknipst. Das Ende kenne ich, aber ich lese es mit einer anderen Atemlosigkeit und Intensität. Mein Buchtip für heute!
#bleibtgesund und #ichschreibeeuch!
„Ohne Erinnerung und ohne Hoffnung, richteten sie sich in der Gegenwart ein. In Wahrheit wurde für sie alles Gegenwart. Es muss einfach gesagt werden, die Pest hatte allen die Fähigkeit zur Liebe und sogar zur Freundschaft genommen. Denn die Liebe verlangt ein wenig Zukunft, und für uns gab es nur mehr Augenblicke.“
(Albert Camus, Die Pest)
Für mich gehört Camus zu den größten sensibelsten SprachWundern, die die Welt hervorgebracht hat.
Danke liebe Birgit, dass du dich ihm widmest in deinem Blog.
Fühlende Ostern euch allen!
Isabelle