Erstaunlich, wie viele schöne Kommentare ich über meinen Beitrag “Magical Sylt” erhalten habe. Ich wusste, dass Ihr die Motive verinnerlicht habt und die dazugehörigen Emotionen, Gedanken und Träume. Heute ist mein letzter Tag auf der Insel bevor es wieder rund geht in dem Zirkus, der da heißt “Fashion”. Das bedeutet nicht, dass ich nicht schon bald wieder hier bin, aber die langen sich ablösenden Tage auf der Insel sind vorbei. Es wird ein Hin-und-Her zwischen Hamburg und Sylt, zwischen neuen Kollektionen, Events, kurzen Trips nach hier und da …

Henry Beston

Noch einmal habe ich das Buch aufgeschlagen, das mich durch diesen Sommer begleitet hat: Henry Beston “Das Haus am Ende der Welt”, in dem er ein Jahr die Natur von Cape Cod beobachtete. Er schreibt ganz am Ende von der “Schöpfung als Prozess” und dem Leben der Menschen als “Ritual”.  Genauso empfinde ich es. Jeden morgen stehe ich auf und sitze mit meinen Kaffee am Schreibtisch, um mich in den Tag zu schreiben.

Sylt Strand

Daran schließt sich der lange Spaziergang an, ich beobachte die Wolken, das Meer, die Heide, die Spuren der Vögel im Sand und dabei denke ich an den übernächsten Herbst/Winter und sein Thema “Pure Nature”, an die passenden Knöpfe, die duftigen Tülle, was alles damit zusammenhängt und sich anschließt … Für Euch noch weit in der Zukunft, für mich schon jetzt Realität.

Nikolaus_Kopernikus_Anonymus_Staatsbibliothek_KrakauSylt

Ähnlich erging es mir in dem Jahr zuvor, als es um die Sterne ging und den Mann, der die Sonne anhielt und die Erde in Bewegung setzte. Wie einsam muss er gewesen sein, als er sich Anfang des 16. Jahrhunderts gegen das Wissen der Welt stemmte: Kopnerikus (1473 – 1543). Sein De Revolutionsbus Orbium Coelestium begann mit ihm als kleiner Junge, der die Schiffe auf dem Fluss beobachtete. Meine Kollektion dazu ist ab Ende Oktober zu sehen und führt in den Winter.

Kopernikus

Abends gehe ich am Watt entlang, pflücke zwischendurch Brombeeren, der Himmel ist wie so oft dramatisch. Vielleicht sollte ich ein neues Blusenmotiv daraus entwickeln. Wie war es vor zwei Jahren? Da dachte ich über Jean de La Fontaine nach und die Fabeln, wie sie sich in Stoffe umsetzen mit den Illustrationen von Gustave Doré aus dem 19. Jahrhundert oder mit der Nachtigall und der Schwalbe. Welche Knöpfe gehören dazu, die Schnitte, die Bouclé Stoffe …

Sylt WattseiteJean de La Fontaine

Das Jahr davor waren es die Arabeske und der Persische Garten, wie das Wissen der Welt im Bagdad des 9. Jahrhundert zusammengefasst wurde, um es wieder in die Welt hinauszutragen … bis zur Kopernikanischen Wende, die ein neues Zeitalter einleitete. Ein überraschender Kreislauf, der gar nicht so geplant war, darüber werde ich bei einem meiner nächsten Spaziergänge nachdenken.

Arabeske und der Persische Garten

Wie mir die Gedanken zu all diesen Themen kommen? Das frage ich mich oft. Es sind meine verschlungenen Schreibübungen, mit denen ich mich in den Tag fabuliere, die Betrachtung der Naturschauspiele hier auf der Insel. In den Anmerkungen zu Henry Beston ist es bestens auf den Punkt gebracht: “Vereinfachung heißt Aufmerksamkeit, heißt, die Wahrnehmung auf einen Moment zu konzentrieren, zu einem Glied in der Kette der Ereignisse der Natur zu werden.” Und so flüstert mir alles, was mich umgibt, plötzlich etwas ein, das Trend werden könnte, das zunächst für mich und dann irgendwann für Euch eine Relevanz besitzt und die Mode mitten in die Welt hinein schiebt.

Kopernikus

Hoffentlich werden sich in den nächsten Wochen die Teile zusammenfügen, die Knöpfe zu den Stoffen, die Schnitte zu den Silhouetten und die Accessoires, die hinzukommen, um alles zu unterstützen. Ein Prozess, ein Ritual, eine Mischung aus Intuition und Verstand mit einer großen Portion an Zufall und Überraschung und mit einer Erzählung, die die Einzelteile zu einer Kollektion verbindet. Wieder muss ich an Beston denken und seine Beschreibung der Vögel, die sich hier auf der Insel genauso formieren wie 1926 vor seinem Haus am Zipfel von Cape Cod:

Sylt Himmel

“Keine Spielart der Natur an diesem Strand ist mir so unerklärlich wie die Flüge der verschiedensten Gruppen von Strandvögeln. Wie ich bereits angedeutet habe, formieren sich diese Gruppen im Nu, und genauso schnell entwickeln sie ihren eigenen Willen. Vögel, die eben noch weit entfernt voneinander nach Futter suchten, jeder für sich und jeder auf’s eigene Wohl bedacht, verschmelzen unvermittelt zu einem kollektiven Willen und steigen auf, fliegen, gleiten, neigen ihre nach Dutzenden zählenden Körper wie ein Wesen, als das sie auf den neuen Kurs einschwenken, den der gemeinsame Wille der Gruppe vorgegeben hat.” 

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