Eine Auster isst man nicht einfach so, man reißt nicht den Kühlschrank auf und schlürft sie, weil man gerade Hunger hat. Nein, man schafft einen Moment des Genießen, man schmeckt das Meer, hat vielleicht ein geliebtes Gegenüber, Kerzen, eine Tischdecke aus weißem Leinen, Musik, eine Summe von Eindrücken und Emotionen, die eine Erinnerung schaffen. So ist es mit allem, was mit Demut und mit Achtsamkeit kreiert wird, erst dann gilt der Spruch: „Liebe geht durch den Magen“. À Table Johannes King, unser gestriger Talk-Gast mit einem Abend, wie man ihn selten erlebt.

Das Kapitänshaus platzt aus allen Fugen, möchte man meinen. Draußen nieselt es, drinnen drängt es sich, stehen sie in Grüppchen im Gespräch, die, die sich kennen und die, die sich noch nicht kennen, dazwischen dieser kleine großartige Mann, der so viel Herzlichkeit und Charisma besitzt, dass sich jeder in seiner Gegenwart wohlfühlt. Eine Prise von Privatheit.

Johannes, wie er sich vorstellt mit festem Händedruck oder gar einer Umarmung, kommt von einem Bauernhof eines 1.000 Seelen Örtchens im Schwarzwald, sieben Schwestern, zwei Brüder, er der Jüngste. Da muss man klever sein, nicht das Schaf, sondern der Fuchs, Klappe halten können, erzählt er mit seinen lachenden Augen.

Gleichzeitig lernte er von klein auf an das Miteinander, den Fleiß und die Diszplin, um später selbstbewusst und erfüllt sagen zu können: Ich bin „Koch, Gastgeber, Hotelier, Lebensmittelbeschaffer und Genießer“. Es beginnt mit einem Jungen, der sich nicht vorgestellt hatte, erfolgreicher Sternekoch zu werden.

Mit 15 Jahren startete er seine Kochlehre, weil es keinen Ausbildungsplatz als Glasbläser für ihr gab und Schule auch irgendwie nicht lief. Liebe auf den zweiten Blick. Erste Stationen in Rottweil, Köln, Wien und Ausflüge nach Frankreich zu führenden Köchen wie Girardet, Rebuchon und Roux. Im Publikum sitzen diverse Gourmets, denen diese Namen eine Menge sagen.

Dann folgte Berlin, Selbstständigkeit, das Restaurant Grand Slam. Mit Ende zwanzig erhält er den ersten Michelin-Stern, wird der Aufsteiger Koch des Jahres 1997, Berliner Meisterkoch 1998. 2004 der zweite Michelin-Stern, da ist er schon auf Sylt im seinem Söl’ring Hof in Rantum.

Die Küche, in der es heiß ist, in der wütend fettige Pfannen durch die Gegend geschleudert werden, in der ein harter Gassen-Jargon herrscht, nein, die kennt er nicht mehr. Bei ihm ist sie offen, einsehbar, eine Bühne, in der Gerichte für besagte besondere Momente zubereitet werden.

So wie er in seinen Lehrjahren wichtige Mentoren traf, wurde er selbst zum Mentor für viele junge Köche. 2022 erhielt er dafür den Mentor-Club-Award.

Ende August wird Johannes King sechzig. Die Zahl hätte ihn nie interessiert. Den Söl’ring Hof hat er 2018 abgegeben, seit 2013 gibt es den Genuss-Shop und seit neuestem den Alten Bahnhof in Keitum. Es dreht sich um die Kreation von Lebensmitteln, die Sylter Manufaktur mit den Rosenprodukten, der Konfitüre Rosa Rugosa mit den Blüten der Heckenrose, so typisch für die Insel, ich kann sie von meinem Schreibtisch aus riechen.

Das Kapuzinerkresse Öl aus seinem Garten darf nicht fehlen, der Eierlikör Liebelei. (Als ich den Namen begrifflich sezieren will, er kommt aus dem Süddeutschen, führt ins 19. Jahrhundert, ein amouröses Geplänkel, weicht Johannes aus in seine Rezeptur. Es muss nicht alles verraten werden.)

Ich frage weiter: Gemeinsam kochen, wie so viele Ehepaare begeistert als ihr Hobby ausgeben? Er schmunzelt, eher nicht, lieber gemeinsam genießen. Ganz mein Ding! In der Küche habe ich nichts verloren, aber ein schönes Essen könnte mich verführen.

Morgens wandert der Naturmensch Johannes King über die Salzwiesen von Morsum, pfückt die Kräuter in seinem großen Garten, lässt sich auf den Kreislauf der Jahreszeiten ein. Wir können und sollten wieder lernen, Ursprünglichkeit zu schmecken, saisonal essen, während wir ansonsten global leben.

Sylt und Frankreich verbinden sich, Sylt und Italien, mit ihren großen kulinarischen Tradtionen und Angeboten. Dorthin führten ihn auch seine Charity Radreisen, von denen wir gar nicht mehr zu sprechen kommen. (Es kann gespendet werden.)

Das Leben zieht große Kreise, in denen sich der Wertekanon der frühen Kindheit wiederholt: Demut, Achtsamkeit, ein Miteinander und Verantwortung für die Welt, in der wir leben. Er ist der Fuchs geblieben, der Jäger und Sammler, Koch, Kenner und Genießer.

Wir Frauen beklagen uns allzu oft, dass es die besonderen Männern nicht mehr gibt oder wir sie zumindest nicht finden. Gestern war einer von ihnen unser Gast: Johannes King.

Danke an alle für diese köstlichen erzählerischen Stunden. (Fotos u. a. von dünenwind media)

Am Sonntag, den 13. August, gibt es die nächste Folge von Leben & Liebe analog: Der Journalist, Moderator und Buchautor Hinnerk Baumgarten ist bei uns im Kapitänshaus zu Besuch. Voranmeldung unter: info@romaetoska.de.

Und dann wird Roma e Toska, das Geschäft, die Wunderkammer, das Wohnzimmer, das Kapitänshaus, wieder zu einem Salon für Begegnungen.