Gestern in der MILCHSTRASSE 11, es war noch relativ früh am morgen, der Laden gerade geöffnet, da schlenderte eine Frau durch die Räume: ca. Mitte 60, vielleicht auch jünger – schwer zu schätzen, weißliche Haare, Lippenstift in Koralle, lebhafte Augen. Sie würde gern ein T-Shirt probieren, eines von diesen Statement Shirts „DENKEN HILFT“ oder „BEGRENZT ANPASSBAR“ in grau muss es aber sein. Interessant, hätte ich für sie nie ausgewählt, ein Statement auf der Brust für diese Frau?! – Doch, doch, sie wäre sehr reduziert in allem, klar in den Formen, weiße Schrift auf grauem Grund, bitte dazu kein (schmeichelndes) Tuch …
Schnell ist das Top gekauft und sie schlüpft wieder in ihr weißes T-Shirt, dazu die navy blaue Hose. Ich beobachte sie und wage, wie ich es gern wage: „Darf ich mal etwas versuchen?“, frage ich sie und greife zum blau-weiß gestreiften Stretch-Blazer. Und schon beginnt die Verwandlung! Plötzlich sieht sie strahlend aus, selbstbewusst, frisch … Überrumpelt lächelt sie scheu in den Spiegel und traut sich nicht, sofort zu bestätigen, was doch so offensichtlich ist. „Wissen Sie, ich habe mich immer so unsichtbar durch’s Leben gemogelt, dass ich das jetzt nicht ändern kann.“ Was für ein Satz und das mitten in einem Geschäft vor einer fremden Person. Ich greife mir ein Herz und frage sie, warum sie nicht ein wenig mehr von sich zeigt, sie würde ein warmes Lächeln der anderen ernten, ein aufmunterndes ‚Hallo, wir haben Dich wahrgenommen‘. Mode muss ja nicht gleich ein schreiendes Coming Out sein, aber ein Mittel der Kommunikation, etwas, das die Persönlichkeit unterstreicht und hilft, mit ein wenig mehr Freude durch’s Leben zu gehen. – Sie zuckt die Achsel, zupft am Blazer und will sich nicht trennen von dem neuen Bild von sich. Mehr geht nicht. Sie hat sich nicht getraut, hängt den Blazer zur Seite und schlüpft ein wenig traurig und beschämt wieder in die eigene graue Wolljacke. Dann ein letztes Lächeln, sie würde wiederkommen – wäre schön!
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