Während ich gefühlt ständig am Strand liege, in dem einen oder anderen neuen Outfit, ein Buch vor der Nase, hinter mir das Meer und in mir der unverwüstliche Wunsch, trotz all dem Ungemach um mich herum das „Delectare“ (Freude, Vergnügen) zu feiern, erhält ein anderer für sein Engagement von Fashion und Society eine der wichtigsten Auszeichnungen: Demna, Chefdesigner von Balenciaga.

Als Zwölfjähriger floh er 1993 mit seiner Familie vor den Russen aus seinem Heimatland Georgien. Seitdem bezeichnet er sich als „lifelong refugee“. Mit seiner vorletzten Show setzte er ein verstörendes Zeichen gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine. Ich hatte darüber berichtet, mir dabei die Frage gestellt, ob Luxury Fashion das richtige Mittel dafür ist.

Agressiv, herausfordernd nutzt Demna seine Plattform „Balenciaga“, um den wichtigen Themen unserer Zeit eine Aufmerksamkeit zu geben: Klimawandel, Gender-Diversität, Hunger, Pandemie. Damit verleiht er dem traditionsreichen Label einen neuen Anstrich und eine neue Beachtung im Fashion-Business. Balenciaga avanciert unter seiner Führung zu einem angesagten „must have“. Gewinne fließen in Hilfsprojekte, das Marketing nutzt die Krisen. Und dennoch ist Demna glaubwürdig und somit ein verdienter Preisträger, ein mutiger Preisträger, einer der bewusst polarisiert.

Mir liegt ein „Aber“ auf der Seele, das ich zögerlich wieder verdränge. Nein, es ist schon richtig, seine kreative Sprache zu nutzen, um etwas zu bewirken, auch wenn tausende von Big-Shoppern und Influencern ultra schick und sinnentleert mit Balenciaga im Selfie-Modus durch die Metropolen schlendern.

Das Kinn nachdenklich aufgestützt, verfolge ich am Schreibtisch die Bildern der Balenciaga Spring/Summer 23 Show in Paris. Die Musik drückt nervös und düster auf die Stimmung. Bilder vom Stockexchange, flackernde Infotafeln, totale „Info-Demic“.

Dann die ersten alienartigen Models, geschlechtlos, ferngesteuert, wie sie durch die schmalen Gänge staksen, vorbei an den Fashionistatas, Celebrities, Einkäufer*innen aus der ganze Welt. Während damals der von mir bewunderte Alexander McQueen Mode zu Kunst transformierte, lenkt Demna sie in ein Armageddon, in eine endzeitlichen Schlacht.

Ist das die Welt, in der ich leben will? Dass es sie gibt, dass hier kein Science Fiction läuft, dass ist mir schon klar. Aber mache ich dafür Mode, dieses sinnliche Gut, das ich auf der Haut spüre und das ein Wohlgefühl in mir erzeugt? Kurz schäme ich mich für meine Strandbilder, entschuldige mich reflexartig für den Bleistift, der neben dem Computer liegt. Bin ich schon ein wenig gestrig und aus der Zeit gefallen mit meinem Denken über das Leben?

Mag sein, aber eines weiß ich ganz genau: meine Kundinnen, sprich Ihr, verinnerlicht, was ich mit meinem Kollektionen sagen will. Die Modelle, die Blusen, die Blazer, die Tücher mit ihren Themen verändern auf leise und subtile Weise. Ich will die Welt da draußen nicht illustrieren, sondern jeder kann sie für sich in meinen Stoffen und Modell empfinden, sich genießen, sich entdecken, sich stark machen. Das ist nachhaltig und weder „Green-“ noch „World“-Washing.

Heute gibt es kein Strandbild, ich muss nachdenken, schlüpfe in die Jubiläums-Bluse, schlinge mir das Bonnard Tuch um den Hals und trage dazu irgendetwas Altes von Balenciaga, als es einfach nur darum ging, die Schönheit der Frauen zu huldigen. So einfach scheint das 2022/23 nicht mehr zu sein.